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Geöff­ne­te Mathematik-Arbeiten

Die Autoren May­er & Schwät­zer stel­len in einer Grud­schul­zeit­schrift vor, wie Mathe-Arbei­ten in Rich­tung auf eine dif­fe­ren­zier­te, pro­zess- und kom­pe­tenz­ori­en­tier­te Leis­tungs­be­ur­tei­lung ver­än­dert wer­den kön­nen – eine Zusam­men­fas­sung mit eini­gen Ergän­zun­gen von mir:

Die kon­ven­tio­nel­le anfor­de­rungs­be­zo­ge­ne Leis­tungs­be­ur­tei­lung ist gekenn­zeich­net durch ihre Defizit‑, Pro­dukt- und Kon­kur­renz­ori­en­tie­rung. Das heißt, es wird über­prüft, was ein Schü­ler noch nicht kann, nur die Ergeb­nis­se von Auf­ga­ben und die Posi­ti­on des Schü­lers in der Klas­se. Spä­tes­tens seit PISA soll­te aber jedem deut­lich gewor­den sein, dass wir hin zu einer päd­ago­gi­schen Leis­tungs­be­ur­tei­lung umden­ken müs­sen, wenn wir gera­de im von vie­len gehass­ten Fach Mathe­ma­tik Kin­der lang­fris­tig nicht demo­ti­vie­ren wollen.

Die­se ver­än­der­te Leis­tungs­kul­tur ist gekenn­zeich­net durch ihre Pro­zess- und Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung, dar­über hin­aus durch ihre Dif­fe­ren­zie­rung und sozia­le Ori­en­tie­rung. Es wird also nicht mehr nur das Pro­dukt, son­dern auch der Lösungs­weg beur­teilt. Das Kind darf zei­gen, was es kann, auch wenn es wei­ter­hin bestehen­de Anfor­de­run­gen noch nicht erfüllt. Schließ­lich wer­den so die unter­schied­li­chen mathe­ma­ti­schen Ent­wick­lungs­ni­veaus berück­sich­tigt. Wenn Mathe­ma­tik bzw. Ler­nen im All­ge­mei­nen so funk­tio­nie­ren wür­de, dass ein­fach nur das Wis­sen des Leh­rers in das Hirn des Schü­lers geschüt­tet wer­den müss­te, dann wäre eine päd­ago­gi­sche Leis­tungs­be­ur­tei­lung nicht erfor­der­lich. Kin­der sind aber nun ein­mal ver­schie­den! Die päd­ago­gi­sche Leis­tungs­be­ur­tei­lung nimmt das Indi­vi­du­um, d.h. sei­ne Leis­tungs­ent­wick­lung stär­ker in den Fokus als die anfor­de­rungs­be­zo­ge­ne. Der Blick aus­schließ­lich auf die Rechen­fer­tig­kei­ten wird ergänzt, um wesent­li­che Eigen­schaf­ten der Mathe­ma­tik. Ver­stärkt wid­men sich geöff­ne­te Mathe-Arbei­ten den „mathe­ma­ti­schen Fähig­kei­ten der Kin­der, indem sie ihre Kom­pe­ten­zen dar­stel­len, Rechen­we­ge fin­den, ihre Lösun­gen begrün­den oder von ihnen ent­deck­te Mus­ter und Gesetz­mä­ßig­kei­ten beschrei­ben” (S.30) (vgl. auch Bil­dungs­stan­dards Mathe­ma­tik). Die Leh­ren­den erken­nen so auf einer brei­te­ren Basis, „wo das Kind steht”, auch wenn es sicher­lich Eltern geben wird, die sich damit schwer tun wer­den und sich lie­ber ein schein­bar glas­kla­res End­ergeb­nis wün­schen (Wo steht mein Kind im Ver­gleich zur Klas­se?). Die meis­ten Eltern und auch wir haben es nun mal nicht anders gelernt. Da besteht in Bezug auf die kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Mathe-Arbei­ten eine Mög­lich­keit dar­in, Eltern die ver­än­der­ten Wege in der Didak­tik zu erklä­ren und ihnen bei Bedarf auch das nöti­ge Ver­ständ­nis für ihre Ver­un­si­che­run­gen ent­ge­gen­zu­brin­gen. Der ver­eng­te Begriff von Mathe­ma­tik (Mathe­ma­tik = Rech­nen) wird durch nach­fol­gen­de Bau­stei­ne erheb­lich erweitert.

May­er & Schwät­zer beschrei­ben acht Bau­stei­ne zur Öff­nung von Mathe-Arbei­ten, die sie in der Pra­xis und der Leh­rer­fort­bil­dung bereits erprobt haben. Die Bau­stei­ne basie­ren auf Prof. Dr. Chris­toph Sel­ter (Autor des Buches: Kin­der & Mathe­ma­tik – Was Erwach­se­ne wis­sen soll­ten). Die Bau­stei­ne sol­len hier nur ange­deu­tet sein.

Bau­stein 1: Platz für Neben­rech­nun­gen und Noti­zen (das ist, den­ke ich, soweit klar)

Bau­stein 2: Vor­ge­hens­wei­sen erläu­tern (Rechen­we­ge erklären)

Bau­stein 3: Offe­ne Auf­ga­ben bezüg­lich der Vorgehensweise

Bau­stein 4: Wahl­auf­ga­ben (ein­fa­che­re und schwie­ri­ge­re Aufgaben)

Bau­stein 5: Eigen­pro­duk­tio­nen (z.B. Das Kind sieht und / oder löst eine Bei­spiel­auf­ga­be und soll dazu ana­lo­ge Auf­ga­ben entwickeln)

Bau­stein 6: Ver­schie­de­ne Kon­tex­te (ein und die­sel­be Rechen­art, z.B. plus, minus, muss in ver­schie­de­nen Sach­auf­ga­ben ange­wen­det werden)

Bau­stein 7: Bezie­hungs­rei­che Auf­ga­ben (arith­me­ti­sche Rechen­päck­chen, z.B. 800 – 600 = __, 790 – 610 = __, 780 – 620 = __, bei denen die Kin­der die Mus­ter ent­de­cken und erklären)

Bau­stein 8: Hilfs­auf­ga­ben (Zu einer Auf­ga­be wird eine Auf­ga­be mit Lösung bzw. Rechen­weg vor­ge­ge­ben, ist das Kind in der Lage, die gege­be­ne Hil­fe umzusetzen?)

Die Autoren beschrei­ben im letz­ten Teil, wel­che Erfah­run­gen sie mit der­art gestal­te­ten Mathe-Arbei­ten gemacht haben und wie die Schü­ler sich dazu äußer­ten. Die Kin­der meinten:

  1. Eine sol­che Arbeit sei besser.
  2. Sie wir­ke durch die Wahl­auf­ga­ben Ver­sa­gens­ängs­ten entgegen.
  3. Man müs­se viel mehr den­ken als sonst.

Den Leh­ren­den wur­den die Ent­wick­lungs­schrit­te der Kin­der bewuss­ter, ihre Stär­ken und Schwä­chen. In gemein­sa­men Gesprä­chen ent­wi­ckel­ten sie Ideen, wie sie ihre Stär­ken und Schwä­chen aus­bau­en bzw. ver­rin­gern könn­ten. Die Kin­der hät­ten sich für ihre Leis­tun­gen ver­ant­wor­li­cher gefühlt.

Ja, und wie soll man das jetzt alles beno­ten? In Fort­bil­dun­gen ant­wor­te­ten die bei­den Autoren mit fol­gen­der Pro­vo­ka­ti­on: „Eine kom­pe­tenz­ori­en­tier­te Lei­sungs­be­ur­tei­lung ver­trägt kein arith­me­ti­sches Bepunk­tungs­sche­ma­ta, das defi­zit­ori­en­tiert und pro­dukt­ori­en­tiert Punkt­ab­zü­ge für fal­sche Ergeb­nis­se ohne Ein­fluss von Kom­pe­tenz- und Pro­zess­ori­en­tie­rung anwen­det, und die dadurch ent­ste­hen­de Kon­kur­ren­zi­ori­en­tie­rung sämt­li­che Dif­fe­ren­zie­rung und sozia­le Ori­en­tie­rung zunich­te macht. Dar­um stel­len wir zur Dis­kus­si­on, quan­ti­fi­zie­rend-mes­sen­de Ver­fah­ren durch eine qua­li­ta­ti­ve Lern­erfolgs­rück­mel­dung ange­lehnt an Leis­tungs­be­ur­tei­lung aus dem Bereich der Tex­pro­duk­ti­ons­di­dak­tik zu erset­zen, wie sie etwa von Sun­der­mann & Sel­ter (in: Baum / Wiel­pütz: Mathe­ma­tik in der Grund­schu­le, 2003) vor­ge­stellt wur­den.” (S.33)

Quel­le: Insa May­er / Ulrich Schwät­zer: Bau­stei­ne zur Öff­nung von Mathe­ma­tik­ar­bei­ten. aus: Grund­schul­ma­ga­zin, Heft 3/2004 (Sei­ten 29–34)