In den 70er Jahren untersuchte der Forscher Jacob Kounin, wie Lehrer Störungen im Unterricht unterbinden. Er stellte dabei fest, dass die Mitarbeit der Schüler im Unterricht durch eine effiziente Klassenführung eher gesteigert wird als durch disziplinarische Maßnahmen. Seine Beobachtungen der Verhaltensweisen von Lehrern mit tendenziell weniger Unterrichtsstörungen, ließen ihn folgende Techniken der Klassenführung aufstellen.
Allgegenwärtigkeit und Überlappung
Ein Lehrer sollte die Fähigkeit besitzen, den Schülern das Gefühl zu vermitteln, dass er über das Geschehen in der Klasse jederzeit informiert ist. Er zeigt Präsenz und hat alles im Blick. So ist der Lehrer in der Lage, Unterrichtsstörungen frühzeitig(!) zu unterbinden, indem er den richtigen Schüler (Ruhestörer) ermahnt. Lehrer mit Disziplinproblemen verursachen die Disziplinprobleme oft selbst, weil sie zu spät reagieren. Wer zum Beispiel in der Klasse eine bestimmte Lautstärke erwartet, muss immer auch dafür sorgen, dass sie eingehalten wird. Eine weitere Fähigkeit ist die der Überlappung. Der Lehrer ist in der Lage, sich um mehrere Dinge gleichzeitig zu kümmern. Beispiel: Er kümmert sich um eine Gruppe und ermahnt einen Störer im anderen Teil des Raums, ohne die Gruppe zu verlassen. Die Ermahnungen können verbaler oder nonverbaler Art sein. Grundsätzlich müssen sie dem Schüler aber das Gefühl vermitteln, dass er angesprochen ist und sein Verhalten nicht geduldet wird. Der Lehrer muss sich vorher seiner Konsequenzen bewusst sein. Eine gute Überlappung sorgt dafür, dass der Unterricht „im Fluss” bleibt.
Reibungslosigkeit und Schwung
Der Wechsel von Unterrichtsaktivitäten wird explizit angekündigt, damit alle Schüler bereitwillig und ohne Verzögerungen mitmachen. Am Schluss der ersten Aktivität werden noch vorhandene Fragen geklärt. In meinem Unterricht lasse ich auch noch die Organisationskarte der zu Ende gehenden Unterrichtsaktivität abnehmen (siehe Download oben). Gleichzeitig wird angekündigt, was zu Beginn der neuen Aktivität erwartet wird, z.B. Stifte, Scheren und die blauen Hefter auf den Tisch. Kounin kommt nach seinen Studien zu folgendem Schluss: „Pro Tag nimmt ein Lehrer etwa 30 Übergänge vor, d.h. er muss sich 30 Mal am Tag entscheiden, ob er in seiner Klasse für Ordnung oder Chaos sorgen will.”
Der Schwung im Unterricht wird aufrecht erhalten, wenn der Lehrer das Niveau der Aufgaben, aber auch seine Erklärungen an die Klasse anpassen kann. Er darf nicht zu ausführlich erklären, damit es für die Schüler langweilig wird. Er darf aber auch nicht zu kurz erklären, so dass die Schüler nicht verstehen, was sie tun sollen.
Folgende Strategien haben sich bewährt, um den Schwung innerhalb einer Unterrichtsaktivität aufrecht zu erhalten:
- Kurze auf das Wesentliche beschränkte Erklärungen geben und von einem Schüler nochmals wiederholen lassen. Man wählt einen aus, vom dem man glaubt, dass er es auch verstanden hat.
- Gruppen sollten nach Möglichkeit leistungsheterogen zusammengestellt werden, damit leistungsstärkere Schüler die schwächeren unterstützen können. Dies ist übrigens auch bei einer Sitzordnung in Gruppentischen sinnvoll.
- Größere Verständnisprobleme einzelner Schüler im persönlichen Gespräch aufarbeiten, zum Beispiel an einem separaten „Erklärtisch” im Raum.
- Orientierung des Niveaus am unteren Leistungsdrittel der Klasse
- Schnelle (gute) Schüler erhalten klare Anweisungen darüber, was sie tun, wenn sie vor den anderen fertig sind.
Der erste Punkt erfordert oft, dass man sich vor dem Unterricht genau überlegt, wie man als Lehrer den Arbeitsauftrag formuliert.
Ein Fehler von schlechtem Schwung und Reibungslosigkeit, der auch mir schon passiert ist, ist die folgende Situation: Die Klasse hat gerade eine Aktivität abgeschlossen (Rechnen im Heft) und holt jetzt die Schnellhefter in Deutsch heraus. Plötzlich fällt dem Lehrer ein, dass er noch etwas vergessen hat, zu den Rechenaufgaben zu sagen.
Aufrechterhaltung des Gruppenfokus
Hierbei geht es um die Fähigkeit, dass ein Lehrer sich auf das Niveau seiner Schüler einstellen kann. Es ist sinnvoll, eine Klasse in Leistungsgruppen einzuteilen, die verschiedene Anforderungen erledigen müssen. Die Qualität und/oder Quantität der Aufgaben passt sich somit den Schülern an. Diese Einteilung wird den Schülern aber nicht explizit mitgeteilt. Die Schüler probieren sich selbst an den Aufgabenniveaus aus.
Es geht hier aber auch darum, jeden Schüler zu erreichen und ihn ins Klassengeschehen einzubinden.
Merkmale sind beispielsweise:
- Methoden, die vor dem Aufrufen eines Schülers „Spannung” erzeugen sollen, zum Beispiel Redepausen, Sich-Umschauen etc.
- Förderlich ist auch, Schüler nach dem Zufallsprinzip aufzurufen. Das fördert die allgemeine Aufmerksamkeit.
- Häufiges Aufrufen von wechselnden Schülern oder Wahrung des Gruppenfokus durch bestimmte Redewendungen, wie „Jetzt wird es spannend!”, „Ich bin mal gespannt, wer das lösen kann / ob ihr schon so gut seid, um…” oder durch die Aufforderung, sich zu melden, bevor der Lehrer einen Schüler aufruft etc.
- Handlungen, die die nicht-aufgerufenen Schüler darüber informieren, dass sie ebenfalls zu der behandelten Übungen an die Reihe kommen können, bzw. Zeichen seitens des Lehrers, dass er bereits bestimmte Schüler ausgewählt hat, die anschließend an der Reihe sind.
- Förderlich ist es ebenfalls, wenn der Lehrer neue Arbeitsmaterialien einführt. Sie sind noch neu und spannend, regen also zu erhöhter Aufmerksamkeit an. (aus Kounin: Techniken der Klassenführung)
Der Lehrer muss auch den Schülern das Gefühl vermitteln, dass er über ihre derzeitige Arbeit und ihren Leistungsstand informiert ist, z.B. indem alle ihre Arbeitsergebnisse hochzeigen, der Lehrer die Arbeitsergebnisse von mehreren Schülern vortragen lässt, etc. Bei Hausaufgaben muss ein Lehrer nicht immer alles abhaken. Es genügt oft auch ein kurzer Blick, wenn er Formen gefunden hat, um nicht-erledigte Hausaufgaben zu sanktionieren. Auch bei Gruppenarbeiten muss jeder Schüler seinen Teil der Mitarbeit belegen können. Die Rückmeldung über die Arbeitsergebnisse können die Schüler sich auch selbst erteilen, indem sie ihre Lösungen mit Lösungsblättern vergleichen. Viele Lernspiele bieten oft Lösungskärtchen zum selbstständigen Vergleichen an oder sind nur auf bestimmte Weise lösbar.
Überdrussvermeidung
Bei der letzten Fähigkeit geht es darum, den Schülern das Gefühl zu geben, dass sie etwas geschafft haben, dass sie vorangekommen sind. Dies bezieht sich auf viele Aspekte: Wechsel der intellektuellen Herausforderungen, der Inhalte, der Aktivitäten, der Sozialformen, der Raumpositionen, der Arbeitsmittel, der Medien, der Methoden etc.
Weitergehende Literatur zur Klassenführung
- Diehl, W.: Jacob Kounin. Techniken der Klassenführung, 2006.
- Seidel, T.: Klassenführung, 2009. (via Google: Kounin Techniken der Klasenführung)
- Haag, L. & Brosig, K.: Klassenführung – Worauf kommt es an? 2012
- Zeitschrift Die Grundschule: Classroom Management, Heft 1/2014
- Wikipedia: Schulische Disziplin