Vor einigen Wochen schrieb ich im Artikel „Kann das stimmen?” davon, dass ich mit Hilfe von Fermi-Aufgaben, die Kinder in meiner Klasse für Mathe-Vorträge begeistern wollte. Mehr als zwei Monate sind jetzt vergangen und ich muss sagen, dass ich sehr froh darüber bin, wie gut die Fermi-Fragen angenommen werden. Mittlerweile wurden schon sehr viele Vorträge gehalten. In der Zwischenzeit hat es sich etabliert, dass die vortragenden Kinder nicht nur ihren Lösungsweg präsentieren, sondern ihre Mitschüler einbeziehen. Es wird die Frage vorgelesen und die Mitschüler sind aufgefordert, zunächst eigene Lösungswege auszuprobieren und zu finden. Besonders froh bin ich darüber, dass sich auch schwächere Schüler ausdauernd mit den Aufgaben beschäftigen. Sicherlich brauchen sie manchmal den einen oder anderen Tipp mehr, wenn sie fragen kommen, als die starken Kinder. Aber das tut der Sache keinen Abbruch.
Fermi-Aufgaben machen den Kindern den Unterschied zwischen Mathematik und Rechnen klar. Landläufig wird aber leider das Eine mit dem Anderen gleichgesetzt. Ich sage gerne sinngemäß:
„Immer nur mit Zahlen zu rechnen – das ist keine Mathematik. Das kann doch jeder Taschenrechner besser und schneller als wir. Mathematik ist, wenn du mit deinem Köpfchen, Probleme lösen musst, bei denen (auch) Zahlen vorkommen können.” Ein Beispiel aus einem gestrigen Vortrag und einer eher einfacheren Frage. Sie lautete: ‘Kann das stimmen, dass für dich schon mehr als 100.000 Mahlzeiten gekocht wurden?’ Hier mussten nun mehrere Dinge berücksichtigt werden: Wie alt bin ich? Was zählt zu gekochten Mahlzeiten? Wie viele gekochte Mahlzeiten esse ich wohl ungefähr in einer Woche oder Monat? In einem Jahr? Mit wie vielen Jahren bekommt man eigentlich die erste gekochte Mahlzeit? Wie viele Tage hat noch mal ein Jahr? Muss ich das Schaltjahr bei meinen Berechnungen berücksichtigen? All diese Fragen und vielleicht auch noch ein paar mehr begegneten den Kindern von ganz allein auf dem Weg zur Lösung. Einige wurden in der Klasse diskutiert. Dabei mussten die Kinder Entscheidungen treffen, abschätzen und mehr, bevor sie die Lösung berechnen konnten. Das nenne ich Mathematik.
Ich finde es sehr bedauernswert, dass Mathematik allzu häufig zu einem Training von arithmetischen Fertigkeiten verkommt. Immer wieder muss ich dann an Benezet denken, der sagte:
„Seit ein paar Jahren fällt mir nämlich auf, dass die frühe Einführung von Arithmetik dazu führt, dass das logische Denken von Kindern abstumpft und wie mit Choloroform betäubt wird. Der ganze Drill führt dazu, dass die Kinder das Fachgebiet der Arithmetik von ihrem gesunden Menschenverstand abtrennen. Die Rechentechniken, die man den Kindern vermittelt, können sie zwar durchführen, aber es gelingt ihnen damit kaum, reale Probleme mathematisch zu lösen!” (Quelle: Macht weniger Arithmetik…)
Muss man sich dann noch wundern, wenn Mathematik bei vielen Schülern zu DEM Hass-Fach in der Schule wird?