Eben entdecke auf der Rückseite des Buches „Alles ist Zahl” (von Prof. Baptist und Prof. Beutelspacher) folgende Erläuterung:
„Der Mathematikunterricht: Gefürchtet und gehasst, im besten Fall aber langweilig. Dabei hat das, was Schule im Unterricht meistens vermittelt, so viel mit Mathematik zu tun wie die Draisine mit dem ICE. Mathematik ist viel mehr als Kopfrechnen und Einmaleins. Sicher, die Beherrschung des Handwerkszeugs ist wichtig. Doch es geht um mehr:
Das Erkennen von Mustern, das Begreifen komplexer Strukturen und Zusammenhänge, das Umsetzen nüchterner Zahlenreihen in ästhetisch schöne Bilder – das ist es, was mathematisches Denken ausmacht. Der spielerische Umgang mit Zahlen, das Wissen um ihre Macht bei der Beschreibung unserer Welt – das macht Mathematik spannend. Nähern wir uns der Schönheit der Mathematik über vollkommene Zahlen und die Quadratur des Kreises – und überlassen das Rechnen den Taschenrechnern und Computern.”
Hans Magnus Enzensberger im Interview:
Dem Ganzen würde ich ja sofort zustimmen, aber wenn ich mir die Videos von Herrn Beutelspacher beim BR ansehe(http://www.br-online.de/alpha/mathematik), dann stellen ich und auch meine Schüler fest, dass Mathematik selbst dann nicht schön ist, wenn sie jemand anderes dafür hält und versucht diese Begeisterung zu vermitteln.
Ich nehme an, die Autoren haben auch den trockenen, öden Zugang zur Mathematik erlebt, der ihnen dann aber irgendwann die Faszination für das Fach ermöglichte. Ob nun eine Abkürzung unter Wegfall der Rechenfertigkeiten (die staubtrocken und schwer verdaulich sind) einen direkteren Zugang zur ‘Schönheit’ der Mathematik bietet? Wäre schön, aber ich bin skeptisch. Das heißt nicht, dass ich nicht sehr viel problemlösend und anwendungsorientiert arbeite (wo immer es geht!), aber für viele Schüler wird Mathe nicht interessanter, weil sie merken, dass es wichtig im Leben ist… Lebensweltbezug ist noch kein Motivationsgarant.
@Herr Schwarzmüller
Rechenfertigkeiten dürfen nicht wegfallen! Sie sind und werden auch weiterhin wichtig bleiben. Allerdings sollte doch die Überbetonung der Rechenfertigkeiten in der Schulmathematik infrage gestellt werden, Studien haben uns ja gezeigt, in welchen Bereichen es Defizite gibt. Das ein Lebensweltbezug noch kein Motivationsgarant ist, kann ich auch nur unterstreichen. Ich denke, dass es auch gar nicht darum geht, ALLE für Mathematik zu motivieren und zu begeistern. Aber – der Lehrer MUSS begeistert sein von Mathematik, damit der Funke auf die Schüler überspringen kann.
Ja, die Überbetonung des Rechnens scheint mir auch ein Problem – sie kommt aber von ganz allein. Ich persönlich stehe z.B. vor dem Problem, einer 6. Klasse am Gymnasium das Prozentrechnen näher zu bringen. Ohne die Rechenfertigkeit, sowohl Prozentwert, Prozentsatz und erhöhten/verminderten Grundwert ausrechnen zu können, geht es nicht weiter. Aber wie bekomme ich in die Köpfe der Schüler die richtige Zuordnung der drei Größen, um dann Formeln oder meinetwegen auch Computer rechnen zu lassen? Mangels weiterer toller Ideen (Am Anfang hatte ich noch ein Feuerwerk an Ideen, dass dann schnell abgebrannt war) halte ich mich und die Schüler seit Wochen (gefühlten Monaten) mit dem Durchkauen einfacher Prozentrechenaufgaben mal als Aufgabenblock, mal als Textaufgabe, auf. Mir macht das kein Spaß und von Begeisterung für Mathematik ist weder bei mir noch bei den Schülern etwas erkennbar 🙁 Ich würde ja gerne zu spannenden Dingen übergehen (oder Prozente spannend machen) – aber das nächste Thema drückt schon: Die ‘Schönheit’ der rationalen Zahlen 😉
Interessant wäre doch mal ein Vergleich folgender Ergebnisse:
1) Was kam bei den Schülern an bzw. blieb hängen, als sie die „Feuerwerksideen” 😉 zündeten?
2) Was bleibt jetzt hängen?
Ich denke, dass Sie das nicht empirisch untersucht haben, aber Sie haben bestimmt „ein Gefühl”, oder? Welche Ideen haben Sie „damals” umgesetzt?
Vielleicht ist auch Ihr Ansatz „Aber wie bekomme ich in die Köpfe der Schüler die richtige Zuordnung…” zu überdenken. Muss es wirklich (immer) „ICH” sein? Wenn Ihnen das nicht gelingt, was ja zunächst einmal trotz jeglicher didaktischer Tricks, nichts Ungewöhnliches ist für Lehrer, wäre es doch mal eine Idee, dass sich Kinder die Inhalte miteinander erarbeiten, sich gemeinsam Aufgaben suchen bzw. ausdenken, sich die Inhalte untereinander erklären, siehe auch:
https://www.skolnet.de/forschung/hirnforschung-fur-die-schule/
und
https://www.skolnet.de/forschung/weshalb-erklarungen-wenig-bringen/
Zunächst zu meinem ‚Feuerwerk’ (ein Beispiel):
Den Einstieg in das Thema Prozentrechnung habe ich über eine Schülerumfrage gestaltet. Die Schüler fanden sich in Gruppen zusammen und sollten (mit Hilfestellungen) eine Umfrage unter ihren Mitschülern durchführen, auswerten und später präsentieren. Das waren die einzigen Vorgaben. Mit den folgenden Konsequenzen:
1. Schüler der 6. Klasse sind nicht in der Lage, sich einen neuen Fachinhalt (egal wie aufwendig aufbereitet) selbständig zu erschließen.
2. Die SuS finden sich aufgrund sozialer Präferenzen in leistungshomogen Gruppen zusammen, was dazu führte, dass es einige sehr strebsame, erfolgreiche Gruppen gab, die dennoch einige Unterstützung benötigten, da auch sie mit dem neuen Thema nicht klar kamen. Andere Gruppen waren nicht in der Lage, die Aufgabe zu bearbeiten, bzw. beschränkten sich (sozusagen selbst differenzierend) auf die Auswertung absoluter statt relativer Größen.Als die leistungsstarken Gruppen mit ihrer Arbeit fertig waren, durften sie in den anderen Gruppen helfen: Das lief so ab, dass die besseren Schüler den schwächeren sagten, was sie wo hinzuschreiben hatten…
3. Den Schülern hat die Arbeit Spaß gemacht und sie werden sich gerne an diese Phase erinnern. Im Anschluss an diese Phase (ca. 4 Unterrichtsstunden inkl. Präsentation) stand ich an der Stelle, wo ich vor dieser Phase stand: Ich habe 2 Stunden damit verbracht, das notwendige Fachwissen zu systematisieren und zu vermitteln – frontal, trocken, langweilig. Und das nur aus einem Grund: Die Schüler müssen die Prozentrechnung erlernen. Den wenigsten war nach der Durchführung der Umfrage klar, was Prozentrechnung ist. Ich wusste nicht, was die Schüler wissen und was bei ihnen hängen blieb, da in der Gruppenarbeit keine Kontrolle darüber besteht, was die Schüler tun und was sie lernen.
Ich habe keine empirischen Vergleiche angestellt, aber ich vermute, dass eine Klassenarbeit nach 4 Stunden selbst gesteuerten Lernens sehr viel schlechter ausfällt als nach einer ebenso langen Phase im herkömmlichen Rahmen.
Jetzt kommen meist folgende Einwände:
1. Ich stecke als Lehrer zu sehr in den alten Mustern, müsste mich mehr auf die neuen Methoden einlassen und auch z.B. Leistungsüberprüfungen an die Methoden anpassen. Meine Antwort: Ich habe mich an ein Kerncurriculum und an ein schuleigenes Curriculum zu halten; es steht mir nicht frei, etwas an den Bewertungsgrundlagen zu ändern oder mich gar vorübergehend vom Leistungsprinzip verabschieden. Und ganz wichtig: ICH bin verantwortlich für das, was die Schüler in meinem Unterricht lernen. Es ist nicht der Unterricht der Schüler und deren Aufgabe ist auch nicht die didaktische Aufbereitung.
2. Die Schüler müssen erst an die neuen Methoden gewöhnt werden, dann klappt es auch mit dem selbst regulierten Lernen. Meine Antwort: Wann sollen Sie sich daran gewöhnen? Innerhalb eines Halbjahres, in dem ich damit leben muss, dass die Schüler nicht das lernen, was sie in dieser Zeit lernen könnten? Sollen die Schüler das Versäumte dann später nachholen? Wann ist später und wer garantiert, dass das machbar ist? Und der allergrößte Einwand: Ich kenne keine wissenschaftlichen Belege, dass selbstreguliertes, dezentrales Lernen Vorteile in Hinsicht auf die Leistung von Schülern hat. Und auch in Hinsicht auf das soziale Lernen wurden bisher keine deutlichen wissenschaftliche Beweise gefunden.
Zu den Links: Prof. Hüther argumentiert aus der Sicht eines Hirnforschers für ein Lernen, welches aus Sicht der Bildungsforschung aber keine Vorteile offenbart. Auch der Kinderarzt Remo Largo plädiert für das gemeinsame Lernen. Aber auch er geht nicht auf die Praxis in den Schulen ein, die unter anderen Einflussfaktoren stehen als ein Schülergehirn unter Laborbedingungen. Herr Hüther sollte sich dann doch bitte daran wagen die Richtigkeit seiner Theorie in der Praxis zunächst nachzuweisen, bevor er gute Ratschläge gibt.
Der zweite Link scheint eher meine Sicht auf die Dinge zu bestätigen: Wer profitiert denn vom gemeinsamen Lernen – doch wieder nur die Leistungsstarken, da sie erklären. Ob die Mitschüler das verstanden haben, ist dann Nebensache. Aber was noch hinzukommt: Als Lehrer habe ich evtl. nicht mitbekommen, WAS der Schüler den anderen erklärt hat. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass ein Schüler etwas richtig erklärt und ‚begriffen’ hat, nur weil er eine bestimmte Aufgabe richtig gelöst hat. Das ist in meinen Augen auch das Problem des LdL: Hier kann ich als Lehrer zwar kontrollieren, WAS erklärt wird, aber das WIE ist doch wahrscheinlich weniger professionell als eine didaktische Aufbereitung durch einen Lehrer – soviel Selbstbewusstsein habe ich als Lehrer: Ich bin in Sachen Methodik/Didaktik besser ausgebildet. Wer letzteres verneint und den Schülern gleiche Kompetenzen zuschreibt, der kann auf die Lehrerausbildung verzichten und vielleicht das Homeschooling flächendeckend einführen.
Wie bei allen pädagogischen Ideen gilt auch hier: Es werden gerne Erfolgsgeschichten präsentiert und für die eigenen Ideen geworben. Wie diese Ideen in der Praxis für Millionen von Schülern funktionieren sollen, bleibt immer nur eine vage Vermutung oder gar nur Glaube. Zum Thema Erfolgsgeschichten hat auch der teacher etwas Interessantes geschrieben: http://teacher.twoday.net/stories/16548429/
Das Problem alles Neuen ist, dass man viel Arbeit und Energie in seine Überzeugung einbringt. Und es ist zum einen schwer, einzusehen, dass sich dieses Engagement evtl. nicht auszahlt. Und manchmal habe ich das Gefühl, es wird nach dem Motto argumentiert: „Die Theorie hört sich so gut an und ist so überzeugend – da kann die Praxis doch nicht schlecht sein.” – so entstehen dann die oft in diesem Bereich stattfindenden ideologischen Diskussionen.
Es gibt in der Methodik sicher kein „nur“ oder „ausschließlich“ oder „am besten“ – und genau aus diesem Grund stehe ich neuen Ideen aufgeschlossen gegenüber, aber wenn ich beim kleinsten Versuch der Umsetzung Misserfolge habe und keine Gewissheit habe, dass sich eine konsequente Umsetzung irgendwann in der Zukunft auszahlen wird, dann lasse ich es lieber.
So, ein langer Kommentar, in dem ich nur ungeordnet und unvollständig einige Gedanken formuliert habe. Also bitte nachhaken, dann kann ich mich zu einigen Punkten weiter äußern.
Vielen Dank für Ihre Antwort! Ich werde mir in den Osterferien Zeit nehmen, um darauf zu antworten. Ich freue mich über den Austausch mit Ihnen! 🙂 Bis bald!
Herr Schwarzmüller,
aufgrund eines traurigen Ereignisses am ersten Ferientag fällt es mir noch schwer, mich längere Zeit zu konzentrieren und mich auf Ihre Nachricht einzulassen. Sobald es uns / mir wieder besser geht, werde ich Ihnen noch mit Sicherheit antworten!!
Beste Grüße
Marek Breuning
Herr Schwarzmüller,
es hat lange gedauert, aber ich habe Sie, so wie versprochen, nicht vergessen.
Sie sprechen in Ihrem langen Kommentar mehrere Aspekte an, von denen ich nur einige aufgreifen möchte, da ich sonst einen Roman schreibe. Daher würde sich ein persönliches Gespräch am Telefon sicherlich einfacher gestalten.
Aspekt 1: „Schüler können sich bestimmte Sachthemen, egal wie aufbereitet, nicht selbstständig erschließen.”
Da bin ich ganz bei Ihnen. Manche Themen, wie z.B. die Prozentrechnung oder beispielsweise in Deutsch die Satzglieder, können in einem kurzen abgesteckten Zeitraum kaum selbstständig von jedem Schüler erfasst, geschweige denn sicher durchdrungen werden. Ich halte das grundsätzlich erst einmal nicht für ein Problem. Wir, die Lehrer, können, wie in Ihrem Beispiel angesprochen, den Schülern ein Thema auch frontal erklären. Dagegen ist in meinen Augen nichts einzuwenden. Wenn es darum geht, Sachwissen für alle vorzustellen, dann gibt es doch nichts Effektiveres als den Vortrag. Die Frage ist halt eben nur, was und wie viel bleibt davon bei jedem hängen, wie viel von dem ist nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Lernen ist nun mal nichts Lineares und nicht dasselbe, wie Autos bauen.
Wir haben doch alle ein Bild von den Schülern, die aufmerksam zuhören und vieles auf Anhieb verstehen. Das andere Extrem sind dann die diejenigen Schüler, die sich nach wenigen Augenblicken anderen für sie wichtigeren Dingen widmen. Natürlich, jetzt könnte man ermahnen etc., das übliche Programm ist bekannt, um die auffälligen Schüler „bei der Stange zu halten”. Letztendlich besteht das Grundproblem doch in Folgendem: Wenn alle Schüler etwas zum gleichen Zeitpunkt können „sollen”, weil es meist benotet wird, werden immer Schüler unten durchfallen oder es zumindest sehr schwer haben, einem Thema zu folgen, vom Erfassen desselben möchte ich hier gar nicht erst reden.
Wenn eine Klassenarbeit geschrieben wird, erstreckt sich das Notenspektrum in der Regel von 1 bis 5. Diese Bandbreite erreichen Sie auch, wenn Sie ein Thema selbst, ein ausgebildeter Lehrer, didaktisch perfekt aufbereiten und frontal präsentieren. Welche Schlüsse ziehen Sie für sich daraus?
Aspekt 2: „Als Lehrer laufe ich Gefahr, wenn sie sich untereinander etwas erklären, dass dabei falsches dabei sein wird.”
Auch hier bin ich wieder ganz bei Ihnen. Kurzfristig gesehen mag das richtig sein. Aber spätestens(!) mittelfristig bekämen Sie diese Fehler mit, das kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung bestätigen, in der Regel kurzfristig, wenn Sie Feedback-Runden durchführen. Außerdem haben Sie ja mehr Zeit, sich einzelnen Schülern zu widmen, wo Ihnen Fehler auffallen werden. Kein Kind und auch kein Erwachsener ist aber frei von Fehlern. Lernen hat mit ausprobieren, entdecken, miteinander reden zu tun, auch und vor allem in der Mathematik! Mathematik ist nicht das Abfüllen von Fässern. Dieses behavioristische Bild des Lernens prägt uns aber bis heute noch sehr sehr stark! Beim Lernen passieren aber Fehler von ganz alleine. Die Frage, die sich nun anstellt, ist die nach der Fehlerkultur. Da sind wir alle gefordert, Lehrer, Schüler und Eltern. Gerade Eltern entwickeln ja eine immense Geduld, wenn es um die Sprachentwicklung ihres Kindes geht, aber sobald die Kinder mit Zahlen konfrontiert werden, kann es manchen nicht schnell genug gehen, und es wird aus Angst jeder Fehler korrigiert. Da geht es uns Lehrern ja genauso – mir auch! Auch ich hadere immer wieder mit mir, wann ich wie eingreife.
Aspekt 3: „Ich bin in Sachen Methodik/Didaktik besser ausgebildet. ”
Während des Studiums stellte einer der Professoren eine Studie über den Lernerfolg von Schülern bei unterschiedlichen „Lehrpersonen” vor. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass sich der Lernerfolg von Schülern, die von „Hausfrauen” oder von ausgebildeten „Lehrern” unterrichtet worden sind, signifikant nicht(!) unterschieden haben. Ich kann mich jetzt nicht mehr im Detail daran erinnern, aber ich meine, dass die Studie in den Grundschulen durchgeführt worden ist und nicht in einem Abiturjahrgang.
Noch abschließend zu einem weiteren Aspekt 4: „Es gibt in der Methodik sicher kein „nur“ oder „ausschließlich“ oder „am besten“ – und genau aus diesem Grund stehe ich neuen Ideen aufgeschlossen gegenüber, aber wenn ich beim kleinsten Versuch der Umsetzung Misserfolge habe und keine Gewissheit habe, dass sich eine konsequente Umsetzung irgendwann in der Zukunft auszahlen wird, dann lasse ich es lieber.”
Ich teile den ersten Teil Ihrer Aussage und möchte Sie beim zweiten Teil auf einen Artikel verweisen (Anmerkung am 4.12.2013: Der Artikel ist online leider nicht mehr verfügbar.). Darin wird berichtet, wie viel Zeit – Jahre – es auch Lehrer kostet, sich auf ein verändertes Lehren einzustellen. Auch ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie viel Kraft mich die letzten Jahre gekostet haben und wie viele Zweifel mir immer wieder gekommen sind.
Letztendlich muss sich jeder selbst fragen, wenn er etwas Neues ausprobiert: Warum mache ich das und für wen? Man muss sich Zeit geben, sehr kritisch reflektieren, den Kontakt zu anderen Lehrern suchen, sich austauschen und seinen Weg verändern und anpassen können. Im Gymnasium oder wo auch immer kann niemand von Schülern erwarten, dass sie selbstständig arbeiten sollen, wenn sie die ganze Grundschulzeit über von einzelnen Phasen abgesehen permanent durch Arbeitsaufträge, Arbeitsblätter und anderem konditioniert worden sind, d.h. eine passive, abwartende(!) Arbeitshaltung entwickelt haben. Selbstständigkeit ist anstrengender, als sich von vorne berieseln zu lassen. Was ich bedauernswert finde, sind Versuche welcher Art auch immer von Lehrern, die etwas Neues ausprobieren bzw. auf einen gerade populären Zug aufspringen und bei den ersten Problemen hinwerfen und sich dann über „das Neue” beklagen. Veränderungen brauchen Zeit, siehe auch den Artikel oben. Die Frage, die sich aber, wie gesagt, immer stellt ist die nach dem Warum und der Grund für wen ich etwas mache.
Und jetzt schlage ich noch mal den Kreis zu Ihrem Feuerwerk an Ideen. Sie haben ja nun schon vieles ausprobiert und sind, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit keinem Weg sonderlich zufrieden. Ein möglicher Weg, den ich für‘s kommende Schuljahr nutzen werde, ist der folgende: Am Anfang werde ich die wichtigsten(!) Fähigkeiten vorstellen, die ich von den Kindern am Ende des Schuljahres oder Halbjahres erwarte und sie auch transparent im Klassenraum aufhängen. Das bietet allen eine gewisse Orientierung und auch ich als Lehrperson kann mich so mehr einbringen.
Wenn es Schule irgendwann einmal flächendeckend schafft, sich von der Illusion zu lösen, dass alle Kinder etwas zur gleichen Zeit können müssen, wird sich die Situation für alle erheblich entspannen. Langfristig gesehen ist es doch völlig egal, wann ein Kind die Prozentrechnung lernt, ob im 5., 6. oder 7. Schuljahr. Das Wichtigste ist, dass es das zu irgendeinem festzulegenden Zeitpunkt kann. Nicht, dass ich Ihnen damit einen Vorwurf mache, weil Sie versuchen, alle Kinder zugleich zu beschulen. Sie beklagen sich ja, wie ich finde, zurecht über „gewisse Eigenheiten“ des Systems Schule und den darin arbeitenden Menschen. Ich kann mir beispielsweise auch gut vorstellen, dass der soziale Druck in einem Kollegium an einem Gymnasium es sehr viel schwerer macht für Einzelne, neue Wege zu gehen, ohne nicht gleich als Spinner dazustehen. Ich denke aber, dass Veränderungen in jedem System möglich sind, ob von oben oder von unten durchgesetzt, sonst wäre die Menschheit heute nicht da, wo sie ist. Viele kleine Veränderungen haben langfristig auch eine große Wirkung.
Gruß
Marek Breuning