Was ist Mathematik?

Eben ent­de­cke auf der Rück­sei­te des Buches „Alles ist Zahl” (von Prof. Bap­tist und Prof. Beu­tel­s­pa­cher) fol­gen­de Erläuterung: 

Der Mathe­ma­tik­un­ter­richt: Gefürch­tet und gehasst, im bes­ten Fall aber lang­wei­lig. Dabei hat das, was Schu­le im Unter­richt meis­tens ver­mit­telt, so viel mit Mathe­ma­tik zu tun wie die Drai­si­ne mit dem ICE. Mathe­ma­tik ist viel mehr als Kopf­rech­nen und Ein­mal­eins. Sicher, die Beherr­schung des Hand­werks­zeugs ist wich­tig. Doch es geht um mehr:

Das Erken­nen von Mus­tern, das Begrei­fen kom­ple­xer Struk­tu­ren und Zusam­men­hän­ge, das Umset­zen nüch­ter­ner Zah­len­rei­hen in ästhe­tisch schö­ne Bil­der – das ist es, was mathe­ma­ti­sches Den­ken aus­macht. Der spie­le­ri­sche Umgang mit Zah­len, das Wis­sen um ihre Macht bei der Beschrei­bung unse­rer Welt – das macht Mathe­ma­tik span­nend. Nähern wir uns der Schön­heit der Mathe­ma­tik über voll­kom­me­ne Zah­len und die Qua­dra­tur des Krei­ses – und über­las­sen das Rech­nen den Taschen­rech­nern und Computern.”

Hans Magnus Enzens­ber­ger im Interview:

8 Kommentare

  1. Dem Gan­zen wür­de ich ja sofort zustim­men, aber wenn ich mir die Vide­os von Herrn Beu­tel­s­pa­cher beim BR anse­he(http://www.br-online.de/alpha/mathematik), dann stel­len ich und auch mei­ne Schü­ler fest, dass Mathe­ma­tik selbst dann nicht schön ist, wenn sie jemand ande­res dafür hält und ver­sucht die­se Begeis­te­rung zu vermitteln.

    Ich neh­me an, die Autoren haben auch den tro­cke­nen, öden Zugang zur Mathe­ma­tik erlebt, der ihnen dann aber irgend­wann die Fas­zi­na­ti­on für das Fach ermög­lich­te. Ob nun eine Abkür­zung unter Weg­fall der Rechen­fer­tig­kei­ten (die staub­tro­cken und schwer ver­dau­lich sind) einen direk­te­ren Zugang zur ‘Schön­heit’ der Mathe­ma­tik bie­tet? Wäre schön, aber ich bin skep­tisch. Das heißt nicht, dass ich nicht sehr viel pro­blem­lö­send und anwen­dungs­ori­en­tiert arbei­te (wo immer es geht!), aber für vie­le Schü­ler wird Mathe nicht inter­es­san­ter, weil sie mer­ken, dass es wich­tig im Leben ist… Lebens­welt­be­zug ist noch kein Motivationsgarant.

  2. @Herr Schwarz­mül­ler
    Rechen­fer­tig­kei­ten dür­fen nicht weg­fal­len! Sie sind und wer­den auch wei­ter­hin wich­tig blei­ben. Aller­dings soll­te doch die Über­be­to­nung der Rechen­fer­tig­kei­ten in der Schul­ma­the­ma­tik infra­ge gestellt wer­den, Stu­di­en haben uns ja gezeigt, in wel­chen Berei­chen es Defi­zi­te gibt. Das ein Lebens­welt­be­zug noch kein Moti­va­ti­ons­ga­rant ist, kann ich auch nur unter­strei­chen. Ich den­ke, dass es auch gar nicht dar­um geht, ALLE für Mathe­ma­tik zu moti­vie­ren und zu begeis­tern. Aber – der Leh­rer MUSS begeis­tert sein von Mathe­ma­tik, damit der Fun­ke auf die Schü­ler über­sprin­gen kann.

  3. Ja, die Über­be­to­nung des Rech­nens scheint mir auch ein Pro­blem – sie kommt aber von ganz allein. Ich per­sön­lich ste­he z.B. vor dem Pro­blem, einer 6. Klas­se am Gym­na­si­um das Pro­zent­rech­nen näher zu brin­gen. Ohne die Rechen­fer­tig­keit, sowohl Pro­zent­wert, Pro­zent­satz und erhöhten/verminderten Grund­wert aus­rech­nen zu kön­nen, geht es nicht wei­ter. Aber wie bekom­me ich in die Köp­fe der Schü­ler die rich­ti­ge Zuord­nung der drei Grö­ßen, um dann For­meln oder mei­net­we­gen auch Com­pu­ter rech­nen zu las­sen? Man­gels wei­te­rer tol­ler Ideen (Am Anfang hat­te ich noch ein Feu­er­werk an Ideen, dass dann schnell abge­brannt war) hal­te ich mich und die Schü­ler seit Wochen (gefühl­ten Mona­ten) mit dem Durch­kau­en ein­fa­cher Pro­zent­re­chen­auf­ga­ben mal als Auf­ga­ben­block, mal als Text­auf­ga­be, auf. Mir macht das kein Spaß und von Begeis­te­rung für Mathe­ma­tik ist weder bei mir noch bei den Schü­lern etwas erkenn­bar 🙁 Ich wür­de ja ger­ne zu span­nen­den Din­gen über­ge­hen (oder Pro­zen­te span­nend machen) – aber das nächs­te The­ma drückt schon: Die ‘Schön­heit’ der ratio­na­len Zahlen 😉

  4. Inter­es­sant wäre doch mal ein Ver­gleich fol­gen­der Ergebnisse: 

    1) Was kam bei den Schü­lern an bzw. blieb hän­gen, als sie die „Feu­er­werks­ideen” 😉 zündeten?
    2) Was bleibt jetzt hängen? 

    Ich den­ke, dass Sie das nicht empi­risch unter­sucht haben, aber Sie haben bestimmt „ein Gefühl”, oder? Wel­che Ideen haben Sie „damals” umgesetzt?

    Viel­leicht ist auch Ihr Ansatz „Aber wie bekom­me ich in die Köp­fe der Schü­ler die rich­ti­ge Zuord­nung…” zu über­den­ken. Muss es wirk­lich (immer) „ICH” sein? Wenn Ihnen das nicht gelingt, was ja zunächst ein­mal trotz jeg­li­cher didak­ti­scher Tricks, nichts Unge­wöhn­li­ches ist für Leh­rer, wäre es doch mal eine Idee, dass sich Kin­der die Inhal­te mit­ein­an­der erar­bei­ten, sich gemein­sam Auf­ga­ben suchen bzw. aus­den­ken, sich die Inhal­te unter­ein­an­der erklä­ren, sie­he auch: 

    https://www.skolnet.de/forschung/hirnforschung-fur-die-schule/
    und
    https://www.skolnet.de/forschung/weshalb-erklarungen-wenig-bringen/

  5. Zunächst zu mei­nem ‚Feu­er­werk’ (ein Beispiel):
    Den Ein­stieg in das The­ma Pro­zent­rech­nung habe ich über eine Schü­ler­um­fra­ge gestal­tet. Die Schü­ler fan­den sich in Grup­pen zusam­men und soll­ten (mit Hil­fe­stel­lun­gen) eine Umfra­ge unter ihren Mit­schü­lern durch­füh­ren, aus­wer­ten und spä­ter prä­sen­tie­ren. Das waren die ein­zi­gen Vor­ga­ben. Mit den fol­gen­den Konsequenzen:

    1. Schü­ler der 6. Klas­se sind nicht in der Lage, sich einen neu­en Fach­in­halt (egal wie auf­wen­dig auf­be­rei­tet) selb­stän­dig zu erschließen.
    2. Die SuS fin­den sich auf­grund sozia­ler Prä­fe­ren­zen in leis­tungs­ho­mo­gen Grup­pen zusam­men, was dazu führ­te, dass es eini­ge sehr streb­sa­me, erfolg­rei­che Grup­pen gab, die den­noch eini­ge Unter­stüt­zung benö­tig­ten, da auch sie mit dem neu­en The­ma nicht klar kamen. Ande­re Grup­pen waren nicht in der Lage, die Auf­ga­be zu bear­bei­ten, bzw. beschränk­ten sich (sozu­sa­gen selbst dif­fe­ren­zie­rend) auf die Aus­wer­tung abso­lu­ter statt rela­ti­ver Größen.Als die leis­tungs­star­ken Grup­pen mit ihrer Arbeit fer­tig waren, durf­ten sie in den ande­ren Grup­pen hel­fen: Das lief so ab, dass die bes­se­ren Schü­ler den schwä­che­ren sag­ten, was sie wo hin­zu­schrei­ben hatten…
    3. Den Schü­lern hat die Arbeit Spaß gemacht und sie wer­den sich ger­ne an die­se Pha­se erin­nern. Im Anschluss an die­se Pha­se (ca. 4 Unter­richts­stun­den inkl. Prä­sen­ta­ti­on) stand ich an der Stel­le, wo ich vor die­ser Pha­se stand: Ich habe 2 Stun­den damit ver­bracht, das not­wen­di­ge Fach­wis­sen zu sys­te­ma­ti­sie­ren und zu ver­mit­teln – fron­tal, tro­cken, lang­wei­lig. Und das nur aus einem Grund: Die Schü­ler müs­sen die Pro­zent­rech­nung erler­nen. Den wenigs­ten war nach der Durch­füh­rung der Umfra­ge klar, was Pro­zent­rech­nung ist. Ich wuss­te nicht, was die Schü­ler wis­sen und was bei ihnen hän­gen blieb, da in der Grup­pen­ar­beit kei­ne Kon­trol­le dar­über besteht, was die Schü­ler tun und was sie lernen.

    Ich habe kei­ne empi­ri­schen Ver­glei­che ange­stellt, aber ich ver­mu­te, dass eine Klas­sen­ar­beit nach 4 Stun­den selbst gesteu­er­ten Ler­nens sehr viel schlech­ter aus­fällt als nach einer eben­so lan­gen Pha­se im her­kömm­li­chen Rahmen.

    Jetzt kom­men meist fol­gen­de Einwände:

    1. Ich ste­cke als Leh­rer zu sehr in den alten Mus­tern, müss­te mich mehr auf die neu­en Metho­den ein­las­sen und auch z.B. Leis­tungs­über­prü­fun­gen an die Metho­den anpas­sen. Mei­ne Ant­wort: Ich habe mich an ein Kern­cur­ri­cu­lum und an ein schul­ei­ge­nes Cur­ri­cu­lum zu hal­ten; es steht mir nicht frei, etwas an den Bewer­tungs­grund­la­gen zu ändern oder mich gar vor­über­ge­hend vom Leis­tungs­prin­zip ver­ab­schie­den. Und ganz wich­tig: ICH bin ver­ant­wort­lich für das, was die Schü­ler in mei­nem Unter­richt ler­nen. Es ist nicht der Unter­richt der Schü­ler und deren Auf­ga­be ist auch nicht die didak­ti­sche Aufbereitung.
    2. Die Schü­ler müs­sen erst an die neu­en Metho­den gewöhnt wer­den, dann klappt es auch mit dem selbst regu­lier­ten Ler­nen. Mei­ne Ant­wort: Wann sol­len Sie sich dar­an gewöh­nen? Inner­halb eines Halb­jah­res, in dem ich damit leben muss, dass die Schü­ler nicht das ler­nen, was sie in die­ser Zeit ler­nen könn­ten? Sol­len die Schü­ler das Ver­säum­te dann spä­ter nach­ho­len? Wann ist spä­ter und wer garan­tiert, dass das mach­bar ist? Und der aller­größ­te Ein­wand: Ich ken­ne kei­ne wis­sen­schaft­li­chen Bele­ge, dass selbst­re­gu­lier­tes, dezen­tra­les Ler­nen Vor­tei­le in Hin­sicht auf die Leis­tung von Schü­lern hat. Und auch in Hin­sicht auf das sozia­le Ler­nen wur­den bis­her kei­ne deut­li­chen wis­sen­schaft­li­che Bewei­se gefunden. 

    Zu den Links: Prof. Hüt­her argu­men­tiert aus der Sicht eines Hirn­for­schers für ein Ler­nen, wel­ches aus Sicht der Bil­dungs­for­schung aber kei­ne Vor­tei­le offen­bart. Auch der Kin­der­arzt Remo Lar­go plä­diert für das gemein­sa­me Ler­nen. Aber auch er geht nicht auf die Pra­xis in den Schu­len ein, die unter ande­ren Ein­fluss­fak­to­ren ste­hen als ein Schü­ler­ge­hirn unter Labor­be­din­gun­gen. Herr Hüt­her soll­te sich dann doch bit­te dar­an wagen die Rich­tig­keit sei­ner Theo­rie in der Pra­xis zunächst nach­zu­wei­sen, bevor er gute Rat­schlä­ge gibt.

    Der zwei­te Link scheint eher mei­ne Sicht auf die Din­ge zu bestä­ti­gen: Wer pro­fi­tiert denn vom gemein­sa­men Ler­nen – doch wie­der nur die Leis­tungs­star­ken, da sie erklä­ren. Ob die Mit­schü­ler das ver­stan­den haben, ist dann Neben­sa­che. Aber was noch hin­zu­kommt: Als Leh­rer habe ich evtl. nicht mit­be­kom­men, WAS der Schü­ler den ande­ren erklärt hat. Es ist ja nicht selbst­ver­ständ­lich, dass ein Schü­ler etwas rich­tig erklärt und ‚begrif­fen’ hat, nur weil er eine bestimm­te Auf­ga­be rich­tig gelöst hat. Das ist in mei­nen Augen auch das Pro­blem des LdL: Hier kann ich als Leh­rer zwar kon­trol­lie­ren, WAS erklärt wird, aber das WIE ist doch wahr­schein­lich weni­ger pro­fes­sio­nell als eine didak­ti­sche Auf­be­rei­tung durch einen Leh­rer – soviel Selbst­be­wusst­sein habe ich als Leh­rer: Ich bin in Sachen Methodik/Didaktik bes­ser aus­ge­bil­det. Wer letz­te­res ver­neint und den Schü­lern glei­che Kom­pe­ten­zen zuschreibt, der kann auf die Leh­rer­aus­bil­dung ver­zich­ten und viel­leicht das Home­schoo­ling flä­chen­de­ckend einführen.

    Wie bei allen päd­ago­gi­schen Ideen gilt auch hier: Es wer­den ger­ne Erfolgs­ge­schich­ten prä­sen­tiert und für die eige­nen Ideen gewor­ben. Wie die­se Ideen in der Pra­xis für Mil­lio­nen von Schü­lern funk­tio­nie­ren sol­len, bleibt immer nur eine vage Ver­mu­tung oder gar nur Glau­be. Zum The­ma Erfolgs­ge­schich­ten hat auch der tea­cher etwas Inter­es­san­tes geschrie­ben: http://teacher.twoday.net/stories/16548429/
    Das Pro­blem alles Neu­en ist, dass man viel Arbeit und Ener­gie in sei­ne Über­zeu­gung ein­bringt. Und es ist zum einen schwer, ein­zu­se­hen, dass sich die­ses Enga­ge­ment evtl. nicht aus­zahlt. Und manch­mal habe ich das Gefühl, es wird nach dem Mot­to argu­men­tiert: „Die Theo­rie hört sich so gut an und ist so über­zeu­gend – da kann die Pra­xis doch nicht schlecht sein.” – so ent­ste­hen dann die oft in die­sem Bereich statt­fin­den­den ideo­lo­gi­schen Diskussionen.

    Es gibt in der Metho­dik sicher kein „nur“ oder „aus­schließ­lich“ oder „am bes­ten“ – und genau aus die­sem Grund ste­he ich neu­en Ideen auf­ge­schlos­sen gegen­über, aber wenn ich beim kleins­ten Ver­such der Umset­zung Miss­erfol­ge habe und kei­ne Gewiss­heit habe, dass sich eine kon­se­quen­te Umset­zung irgend­wann in der Zukunft aus­zah­len wird, dann las­se ich es lieber.

    So, ein lan­ger Kom­men­tar, in dem ich nur unge­ord­net und unvoll­stän­dig eini­ge Gedan­ken for­mu­liert habe. Also bit­te nach­ha­ken, dann kann ich mich zu eini­gen Punk­ten wei­ter äußern.

  6. Vie­len Dank für Ihre Ant­wort! Ich wer­de mir in den Oster­fe­ri­en Zeit neh­men, um dar­auf zu ant­wor­ten. Ich freue mich über den Aus­tausch mit Ihnen! 🙂 Bis bald!

  7. Herr Schwarz­mül­ler,

    auf­grund eines trau­ri­gen Ereig­nis­ses am ers­ten Feri­en­tag fällt es mir noch schwer, mich län­ge­re Zeit zu kon­zen­trie­ren und mich auf Ihre Nach­richt ein­zu­las­sen. Sobald es uns / mir wie­der bes­ser geht, wer­de ich Ihnen noch mit Sicher­heit antworten!!

    Bes­te Grüße

    Marek Breu­ning

  8. Herr Schwarz­mül­ler,

    es hat lan­ge gedau­ert, aber ich habe Sie, so wie ver­spro­chen, nicht vergessen. 

    Sie spre­chen in Ihrem lan­gen Kom­men­tar meh­re­re Aspek­te an, von denen ich nur eini­ge auf­grei­fen möch­te, da ich sonst einen Roman schrei­be. Daher wür­de sich ein per­sön­li­ches Gespräch am Tele­fon sicher­lich ein­fa­cher gestalten.

    Aspekt 1: „Schü­ler kön­nen sich bestimm­te Sach­the­men, egal wie auf­be­rei­tet, nicht selbst­stän­dig erschließen.”

    Da bin ich ganz bei Ihnen. Man­che The­men, wie z.B. die Pro­zent­rech­nung oder bei­spiels­wei­se in Deutsch die Satz­glie­der, kön­nen in einem kur­zen abge­steck­ten Zeit­raum kaum selbst­stän­dig von jedem Schü­ler erfasst, geschwei­ge denn sicher durch­drun­gen wer­den. Ich hal­te das grund­sätz­lich erst ein­mal nicht für ein Pro­blem. Wir, die Leh­rer, kön­nen, wie in Ihrem Bei­spiel ange­spro­chen, den Schü­lern ein The­ma auch fron­tal erklä­ren. Dage­gen ist in mei­nen Augen nichts ein­zu­wen­den. Wenn es dar­um geht, Sach­wis­sen für alle vor­zu­stel­len, dann gibt es doch nichts Effek­ti­ve­res als den Vor­trag. Die Fra­ge ist halt eben nur, was und wie viel bleibt davon bei jedem hän­gen, wie viel von dem ist nach kur­zer Zeit wie­der ver­schwun­den. Ler­nen ist nun mal nichts Linea­res und nicht das­sel­be, wie Autos bauen.

    Wir haben doch alle ein Bild von den Schü­lern, die auf­merk­sam zuhö­ren und vie­les auf Anhieb ver­ste­hen. Das ande­re Extrem sind dann die die­je­ni­gen Schü­ler, die sich nach weni­gen Augen­bli­cken ande­ren für sie wich­ti­ge­ren Din­gen wid­men. Natür­lich, jetzt könn­te man ermah­nen etc., das übli­che Pro­gramm ist bekannt, um die auf­fäl­li­gen Schü­ler „bei der Stan­ge zu hal­ten”. Letzt­end­lich besteht das Grund­pro­blem doch in Fol­gen­dem: Wenn alle Schü­ler etwas zum glei­chen Zeit­punkt kön­nen „sol­len”, weil es meist beno­tet wird, wer­den immer Schü­ler unten durch­fal­len oder es zumin­dest sehr schwer haben, einem The­ma zu fol­gen, vom Erfas­sen des­sel­ben möch­te ich hier gar nicht erst reden. 

    Wenn eine Klas­sen­ar­beit geschrie­ben wird, erstreckt sich das Noten­spek­trum in der Regel von 1 bis 5. Die­se Band­brei­te errei­chen Sie auch, wenn Sie ein The­ma selbst, ein aus­ge­bil­de­ter Leh­rer, didak­tisch per­fekt auf­be­rei­ten und fron­tal prä­sen­tie­ren. Wel­che Schlüs­se zie­hen Sie für sich daraus?

    Aspekt 2: „Als Leh­rer lau­fe ich Gefahr, wenn sie sich unter­ein­an­der etwas erklä­ren, dass dabei fal­sches dabei sein wird.”

    Auch hier bin ich wie­der ganz bei Ihnen. Kurz­fris­tig gese­hen mag das rich­tig sein. Aber spä­tes­tens(!) mit­tel­fris­tig bekä­men Sie die­se Feh­ler mit, das kann ich Ihnen aus per­sön­li­cher Erfah­rung bestä­ti­gen, in der Regel kurz­fris­tig, wenn Sie Feed­back-Run­den durch­füh­ren. Außer­dem haben Sie ja mehr Zeit, sich ein­zel­nen Schü­lern zu wid­men, wo Ihnen Feh­ler auf­fal­len wer­den. Kein Kind und auch kein Erwach­se­ner ist aber frei von Feh­lern. Ler­nen hat mit aus­pro­bie­ren, ent­de­cken, mit­ein­an­der reden zu tun, auch und vor allem in der Mathe­ma­tik! Mathe­ma­tik ist nicht das Abfül­len von Fäs­sern. Die­ses beha­vio­ris­ti­sche Bild des Ler­nens prägt uns aber bis heu­te noch sehr sehr stark! Beim Ler­nen pas­sie­ren aber Feh­ler von ganz allei­ne. Die Fra­ge, die sich nun anstellt, ist die nach der Feh­ler­kul­tur. Da sind wir alle gefor­dert, Leh­rer, Schü­ler und Eltern. Gera­de Eltern ent­wi­ckeln ja eine immense Geduld, wenn es um die Sprach­ent­wick­lung ihres Kin­des geht, aber sobald die Kin­der mit Zah­len kon­fron­tiert wer­den, kann es man­chen nicht schnell genug gehen, und es wird aus Angst jeder Feh­ler kor­ri­giert. Da geht es uns Leh­rern ja genau­so – mir auch! Auch ich hade­re immer wie­der mit mir, wann ich wie eingreife.

    Aspekt 3: „Ich bin in Sachen Methodik/Didaktik bes­ser ausgebildet. ”

    Wäh­rend des Stu­di­ums stell­te einer der Pro­fes­so­ren eine Stu­die über den Lern­erfolg von Schü­lern bei unter­schied­li­chen „Lehr­per­so­nen” vor. Ich kann mich noch sehr gut dar­an erin­nern, dass sich der Lern­erfolg von Schü­lern, die von „Haus­frau­en” oder von aus­ge­bil­de­ten „Leh­rern” unter­rich­tet wor­den sind, signi­fi­kant nicht(!) unter­schie­den haben. Ich kann mich jetzt nicht mehr im Detail dar­an erin­nern, aber ich mei­ne, dass die Stu­die in den Grund­schu­len durch­ge­führt wor­den ist und nicht in einem Abiturjahrgang. 

    Noch abschlie­ßend zu einem wei­te­ren Aspekt 4: „Es gibt in der Metho­dik sicher kein „nur“ oder „aus­schließ­lich“ oder „am bes­ten“ – und genau aus die­sem Grund ste­he ich neu­en Ideen auf­ge­schlos­sen gegen­über, aber wenn ich beim kleins­ten Ver­such der Umset­zung Miss­erfol­ge habe und kei­ne Gewiss­heit habe, dass sich eine kon­se­quen­te Umset­zung irgend­wann in der Zukunft aus­zah­len wird, dann las­se ich es lieber.”

    Ich tei­le den ers­ten Teil Ihrer Aus­sa­ge und möch­te Sie beim zwei­ten Teil auf einen Arti­kel ver­wei­sen (Anmer­kung am 4.12.2013: Der Arti­kel ist online lei­der nicht mehr ver­füg­bar.). Dar­in wird berich­tet, wie viel Zeit – Jah­re – es auch Leh­rer kos­tet, sich auf ein ver­än­der­tes Leh­ren ein­zu­stel­len. Auch ich kann aus eige­ner Erfah­rung sagen, wie viel Kraft mich die letz­ten Jah­re gekos­tet haben und wie vie­le Zwei­fel mir immer wie­der gekom­men sind. 

    Letzt­end­lich muss sich jeder selbst fra­gen, wenn er etwas Neu­es aus­pro­biert: War­um mache ich das und für wen? Man muss sich Zeit geben, sehr kri­tisch reflek­tie­ren, den Kon­takt zu ande­ren Leh­rern suchen, sich aus­tau­schen und sei­nen Weg ver­än­dern und anpas­sen kön­nen. Im Gym­na­si­um oder wo auch immer kann nie­mand von Schü­lern erwar­ten, dass sie selbst­stän­dig arbei­ten sol­len, wenn sie die gan­ze Grund­schul­zeit über von ein­zel­nen Pha­sen abge­se­hen per­ma­nent durch Arbeits­auf­trä­ge, Arbeits­blät­ter und ande­rem kon­di­tio­niert wor­den sind, d.h. eine pas­si­ve, abwar­ten­de(!) Arbeits­hal­tung ent­wi­ckelt haben. Selbst­stän­dig­keit ist anstren­gen­der, als sich von vor­ne berie­seln zu las­sen. Was ich bedau­erns­wert fin­de, sind Ver­su­che wel­cher Art auch immer von Leh­rern, die etwas Neu­es aus­pro­bie­ren bzw. auf einen gera­de popu­lä­ren Zug auf­sprin­gen und bei den ers­ten Pro­ble­men hin­wer­fen und sich dann über „das Neue” bekla­gen. Ver­än­de­run­gen brau­chen Zeit, sie­he auch den Arti­kel oben. Die Fra­ge, die sich aber, wie gesagt, immer stellt ist die nach dem War­um und der Grund für wen ich etwas mache.

    Und jetzt schla­ge ich noch mal den Kreis zu Ihrem Feu­er­werk an Ideen. Sie haben ja nun schon vie­les aus­pro­biert und sind, wenn ich Sie rich­tig ver­stan­den habe, mit kei­nem Weg son­der­lich zufrie­den. Ein mög­li­cher Weg, den ich für‘s kom­men­de Schul­jahr nut­zen wer­de, ist der fol­gen­de: Am Anfang wer­de ich die wich­tigs­ten(!) Fähig­kei­ten vor­stel­len, die ich von den Kin­dern am Ende des Schul­jah­res oder Halb­jah­res erwar­te und sie auch trans­pa­rent im Klas­sen­raum auf­hän­gen. Das bie­tet allen eine gewis­se Ori­en­tie­rung und auch ich als Lehr­per­son kann mich so mehr einbringen.

    Wenn es Schu­le irgend­wann ein­mal flä­chen­de­ckend schafft, sich von der Illu­si­on zu lösen, dass alle Kin­der etwas zur glei­chen Zeit kön­nen müs­sen, wird sich die Situa­ti­on für alle erheb­lich ent­span­nen. Lang­fris­tig gese­hen ist es doch völ­lig egal, wann ein Kind die Pro­zent­rech­nung lernt, ob im 5., 6. oder 7. Schul­jahr. Das Wich­tigs­te ist, dass es das zu irgend­ei­nem fest­zu­le­gen­den Zeit­punkt kann. Nicht, dass ich Ihnen damit einen Vor­wurf mache, weil Sie ver­su­chen, alle Kin­der zugleich zu beschu­len. Sie bekla­gen sich ja, wie ich fin­de, zurecht über „gewis­se Eigen­hei­ten“ des Sys­tems Schu­le und den dar­in arbei­ten­den Men­schen. Ich kann mir bei­spiels­wei­se auch gut vor­stel­len, dass der sozia­le Druck in einem Kol­le­gi­um an einem Gym­na­si­um es sehr viel schwe­rer macht für Ein­zel­ne, neue Wege zu gehen, ohne nicht gleich als Spin­ner dazu­ste­hen. Ich den­ke aber, dass Ver­än­de­run­gen in jedem Sys­tem mög­lich sind, ob von oben oder von unten durch­ge­setzt, sonst wäre die Mensch­heit heu­te nicht da, wo sie ist. Vie­le klei­ne Ver­än­de­run­gen haben lang­fris­tig auch eine gro­ße Wirkung.

    Gruß
    Marek Breuning

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