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Kin­der experimentieren

Ges­tern und heu­te geschah es wie­der, dass eini­ge Kin­der ech­te Fra­gen zu einem natur­wis­sen­schaft­li­chen Phä­no­men stell­ten. Eini­ge Jun­gen bau­ten mit dem Mate­ri­al, das sie sich zuvor im „Sach­un­ter­richts­ma­te­ri­al­raum” geholt hat­ten, einen Strom­kreis aus Steck­tei­len unter ande­rem einem motor­be­trie­be­nen Pro­pel­ler, der nach oben stei­gen kann, wenn er sich schnell genug dreht. Zwei Fra­gen erga­ben sich den Kin­dern beim Bauen:

  • Fliegt der Pro­pel­ler höher, je mehr Bat­te­rien im Strom­keis ein­ge­baut werden?
  • Fliegt der Pro­pel­ler höher, wenn der Strom­kreis lang oder kurz ist?

Es schloss sich ein gesel­li­ges Schaf­fen auf dem Schul­hof an mit einer Ergeb­nis­vor­stel­lung im Schlusskreis.

Ich schrei­be über die­ses Expe­ri­ment des­halb, weil ich den­ke, dass hier natur­wis­sen­schaft­li­che Bil­dung statt­ge­fun­den hat. Hier haben die Kin­der ihre Fra­gen an die Welt gestellt und nicht wir, die Leh­rer. UND die Kin­der haben sich Gedan­ken dar­über gemacht, wie sie ihr Pro­blem lösen könn­ten. Jörg Ram­se­ger, Pro­fes­sor an der FU Ber­lin, benennt vier typi­sche Feh­ler, die Leh­rer in der Grund­schu­le machen, wenn Kin­der expe­ri­men­tie­ren „sol­len”:

  1. Expe­ri­men­te ohne Fragen
  2. Fal­sche Fragen
  3. Ver­früh­te Modellbildung
  4. Über­for­de­rung des Sprachverständnisses

zu 1 – Expe­ri­men­te ohne Fra­gen: Zusam­men­fas­sen lie­ße sich die­ser Feh­ler mit „Haupt­sa­che es knallt!” Expe­ri­men­tie­ren wird hier dar­auf redu­ziert, dass Kin­der vor­ge­ge­be­ne Auf­ga­ben durch­ge­hen, zum Bei­spiel in Form von „Sta­tio­nen”, bei denen die Kin­der ein soge­nann­tes „Expe­ri­ment” abar­bei­ten. Expe­ri­men­tie­ren wird so zu einem Han­tie­ren degra­diert mit wenig oder ohne tie­fe­ren Erkennt­nis­ge­winn. Man könn­te auch immer­hin posi­tiv for­mu­lie­ren, Haupt­sa­che die Kin­der haben über­haupt mal was gemacht. Sicher­lich, das kann man so machen und ich hal­te es sogar für legi­tim, wenn man sich bei­spiels­wei­se vor Vor­ge­setz­ten, Eltern, etc. recht­fer­ti­gen müss­te, ob man denn im Unter­richt „expe­ri­men­tiert” hat. Denn Unter­richt wird so gut wie gar nicht hin­ter­fragt, wenn er mit der eige­nen Erfah­rung der dar­an betei­lig­ten Erwach­se­nen über­ein­stimmt. Mit natur­wis­sen­schaft­li­cher Bil­dung hat das aber nichts zu tun, wie Jörg Ram­se­ger in sei­nem Auf­satz beschreibt:

„Natur­wis­sen­schaft­li­cher Unter­richt zielt als ‚bil­den­der Unter­richt’ auf ‚wirk­li­ches Ver­ste­hen’ ab, nicht bloß auf expe­ri­men­tel­les Handeln.”

zu 2 – fal­sche Fra­gen: Leh­rer kon­fron­tie­ren die Kin­der mit Fra­gen, die sie nie gestellt hät­ten und die Leh­rer sowie­so selbst beant­wor­ten könn­ten. Die Fra­gen der Kin­der müss­ten aber den Kern des (natur­wis­sen­schaft­li­chen) Sach­un­ter­richts bil­den und nicht die vor­han­de­nen Kopier­vor­la­gen zu einem bestimm­ten Themengebiet.

zu 3 – ver­früh­te Modell­bil­dung: Wenn Leh­rer Phä­no­me mit Hil­fe ihrer Erfah­rung und ihrem Wis­sen erklä­ren, das aber der Lebens­wirk­lich­keit der Kin­der ent­ge­gen läuft, kön­nen sie bei den Kin­dern fal­sche Vor­stel­lun­gen erzeu­gen. Ein Bei­spiel: ‚Im Strom­ka­bel befin­den sich Elek­tro­nen, klei­ne Teil­chen, die in Bewe­gung ver­setzt wer­den, wenn eine Span­nung ange­legt wird.’ Wenn ein Kind sich das Kabel aber ansieht, erkennt es nur lei­der kei­ner­lei Bewegung.

zu 4 – Über­for­de­rung des Sprach­ver­ständ­nis­ses: nähe­res im Arti­kel von Ramseger

Was nun? Wie stel­le ich mir natur­wis­sen­schaft­li­chen Unter­richt vor? Das Bei­spiel aus mei­ner Klas­se ist bestimmt ein Para­de­bei­spiel dafür, wie natur­wis­sen­schaft­li­cher Sach­un­ter­richt aus­se­hen soll­te und ist der­art auch nicht all­täg­lich in der Klas­se! Das Pro­blem ist, dass so etwas nicht plan­bar ist. Ist das über­haupt ein Pro­blem, wenn wir uns von der Fik­ti­on des plan­ba­ren Unter­richts lösen? Fra­gen kön­nen nur ent­ste­hen, wenn Kin­der sich zuvor mit einer Sache aus­ein­an­der­set­zen. Ech­te Fra­gen kann man eben nicht verordnen.

Mei­ne Auf­ga­be sah ich in dem von mir genann­ten Bei­spiel im Kern dar­in, den Kin­dern im Ver­lau­fe ihres Tuns, die pas­sen­den Fach­be­grif­fe zu nen­nen, ihnen Anre­gun­gen zur Wei­ter­ar­beit zu geben.

Wenn der Unter­richt struk­tu­rell anders ange­legt ist als bei mir, ist es sicher­lich mög­lich, sich auf ein Vor­ge­hen ein­zu­las­sen, wie es Ram­se­ger anhand eines Unter­richts­bei­spiels dar­stellt – einem Bei­spiel für einen geöff­ne­ten Unter­richt. Ein Weg, den auch ich ganz sicher prak­ti­zie­ren wer­de, nach­dem die Schu­le jetzt am SINUS-Pro­jekt mit dem Schwer­punkt Natur­wis­sen­schaf­ten teil­nimmt und wir, mei­ne lie­be Kol­le­gin neben­an und ich, regel­mä­ßig „Expe­ri­men­te-Tage” durch­füh­ren werden.

Wenn man die Fra­gen der Kin­der ins Zen­trum des natur­wis­sen­schaft­li­chen Sach­un­ter­richts rückt, könn­te der Ein­wand kom­men, was mit den Kin­dern geschieht, die kei­ne Fra­gen haben? Die­ses Fass las­se ich jetzt aber von mei­ner Sei­te aus erst ein­mal zu und will das ledig­lich als Anstoß zur wei­te­ren Aus­ein­an­der­set­zung gesagt haben.

Der voll­stän­di­ge Arti­kel von Jörg Ram­se­ger in der Grund­schul­zeit­schrift: Expe­ri­men­te, Experimente!

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