Eine Sendung vom 28.03.2009 im Berliner Radiosender Inforadio über Lehrer, Schule und die Zukunft unserer Kinder. Zu Gast ist Prof. Joachim Bauer, Arzt und Neurobiologe an der Universität Freiburg und an der Psychosomatischen Hochgratklinik im Allgäu.
Im Folgenden stelle ich ein Transkript mit den wesentlichen Aussagen von Prof. Bauer vor:
- „Lehrerarbeit ist Beziehungsarbeit, was in unserer Zeit sehr schwer geworden ist.”
- „Der Lehrerberuf ist derzeit einer der belastendsten Berufe, die die Gesellschaft zu vergeben hat und mit dem eines Piloten oder Narkosearztes vergleichbar.”
- Die moderne Neurobiologie zeigt: „Aggression wird befördert von vitaler Bedrohung, z.B. durch Schmerzen. Ausgrenzung aus einer Gemeinschaft (Wir reden nicht mit dir…, Du gehörst nicht zu uns…) wird vom Gehirn aber genauso erlebt wie Schmerzen!” Das ist eine Ursache von Amokläufen.
- Die Neurobiologie zeigt auch: „Die Grundmotivation des Menschen ist, soziale Akzeptanz zu bekommen.”
- „Die Gesellschaft hat unausgesprochen in den letzten 10–15 Jahren die Beziehungsarbeit auf die Schule übertragen.”
- „Kinder brauchen Zuwendung.”
- „Viele Eltern aus bildungsnahen Kreisen gefallen sich darin, den Lehrern vorzuhalten, dass die Schule alles falsch macht. Eltern aus bildungsfernen Kreisen entziehen sich hingegen der Schule.”
- „Eine dritte Gruppe von Eltern setzen ihre Kinder einem enormen Leistungsdruck aus, so dass Angst zum dominierenden Affekt wird. Wenn man den Bogen überspannt, erreicht man am Ende nur weniger Leistung. Es geht um eine Balance zwischen Leistung und den Ansprüchen an Schule.”
- „Menschen, die Angst haben, können nicht gut lernen. Angst ist ein Bildungskiller!”
- „Sich zu Leistung zu bekennen, ist wichtig. Die Kinder wollen spüren, dass der Lehrer will, dass sie sich anstrengen sollen.”
- „Die Eltern von heute sind einem enormen Druck ausgesetzt (Arbeits- und Leistungsdruck) als Eltern vor 30 Jahren.”
- Die Biologie zeigt: „Das Gehirn von Kindern braucht Stimulation von außen, den guten Kontakt zu Bezugspersonen, Anregung und Kritik, wenn ihre Leistung nicht gut genug ist.”
- „Für Lehrer können körperliche Bedrohungen zu erheblichen psychischen Belastungen führen.”
- „Kindern muss von Lehrern und Eltern klar gemacht werden, dass sie sich an Regeln halten müssen.”
- „Bedrohungen und Gewalterfahrungen sind zentrale Faktoren, die Lehrer krank machen können.”
- „Die Fähigkeit auch mit schwierigen Schülern gelingende Beziehungen zu gestalten, ist eine Kernkompetenz von Lehrern, die in der Ausbildung viel zu wenig berücksichtigt wird.”
- „Die Körpersprache ist enorm wichtig, um die Aufmerksamkeit von (schwierigen) Klassen auf sich zu ziehen. Mit einer Körpersprache wie ein nasser Waschlappen zieht man niemanden in den Bann.”
- „Wie man in den Klassenraum hineinkommt, ist wichtig. Wie man die ersten 3–4 Minuten gestaltet, ist wichtig. Wenn man am Anfang fragt „Wer ist nicht da?”, der hat schon verloren. Wenn man mit seiner Stimme permanent auf 160 läuft und bei den Kindern Kopfweh auslöst, wird man nicht so gut agieren können, wie ein Lehrer, der seine Stimme in ihrer gesamten Modulationsbreite benutzt – wie ein Pfarrer.”
- „Schule ist immer noch zu wenig Lebensraum. Schule muss eine Ganztagsveranstaltung werden, in der mehr Zeit ist für musisch-ästhetische Dinge, Bewegung und soziale Projekte. Wir dürfen auf keinen Fall den Wahnsinn, der am Vormittag veranstaltet wird, auf den Nachmittag hin ausdehnen. Schule sind nach wie vor Orte der ständigen Zeitnot und Hetze.”
- „Der Lehrer muss „hinstehen”, er muss eine gute Figur machen und eine Respektperson sein. Schüler werden Lehrer nicht bemitleiden.”
- „Kollegiale Unterstützung ist für die Lehrergesundheit wichtig. Lehrerkollegien bekämpfen sich untereinander und verlieren viel Kraft. Es gibt mehrere Arten ein guter Lehrer zu sein. Diese Lehrer müssten sich gegenseitig unterstützen und nicht gegeneinander arbeiten im Sinne „Meine Methode ist besser als deine!”
- „Die Burn-Out Forschung hat als einen zentralen Faktor für Burn-Out ergeben, dass das Gefühl von zu wenig Einfluss auf Unterricht, sich kontraproduktiv auf die Lehrergesundheit auswirkt.
- „Wir müssen alles dafür tun, dass Lehrer lange lehren können, und nicht zu früh in Rente gehen.”
- „Die Deputatsleistung müsste mit 20–25 Jahren Berufserfahrung ein stückweit herunter gehen dürfen. Erfahrene Lehrer könnten dann mehr mit Coaching-Aufgaben von jüngeren Lehrern betreut werden. Auch im Stahlwerk am Hochofen stellen wir einen 55 Jährigen nicht neben einen jungen Menschen.”
- „In allen Berufen, wo Menschen mit Menschen zu tun haben, kommt es auf Balance an, zwischen verstehender Zuwendung (Empathie) und Führung, d.h. klar sagen, wo es lang gehen soll, die eigene Kompetenz deutlich machen und dem anderen durch Führung ein stückweit den Weg weisen. Wenn ich nur mit Führung arbeite, haben wir die alte autoritäre Pädagogik, von der wir uns Gott sei Dank verabschiedet haben. Wenn ich nur mit Einfühlung arbeite, haben wir das, was viele junge Lehrer falsch machen, die glauben, dass sie nur mit permanenten kumpelig sein und freundlich sein, Schüler beeindrucken. Was wichtig ist, ist eine Balance zwischen Einfühlung und Verständnis auf der einen und Führungsfähigkeit auf der anderen Seite. Und genau diese Balance ist das, was gute Lehrer ausmacht und was sich Schüler wünschen.”
- (Wer sich als Mann mit Mitte 50 in einer Partnerbörse umsieht, bekommt viele geschiedene Lehrerinnen angeboten.) „Bei Lehrern ist die berufliche und private Sphäre schlecht zu trennen. Derartige Berufe sind besonders Burn-Out anfällig. Lehrkräfte müssten ganztags an der Schule anwesend sein und dort auch einen Arbeitsplatz haben, um die Trennung zwischen Arbeit und Privatem zu ermöglichen.”
- „Lehrer arbeiten im Schnitt 50 Stunden pro Woche.”
- „Langfristig gesund bleiben die Lehrer, die langfristig eine Balance zwischen Verausgabung und Anerkennung erhalten. Die Wertschätzung der Lehrer untereinander und von Seiten der Schulleitungen muss besser werden. Und auch die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern muss besser werden. Eltern müssten sich auch überlegen, ob nicht der eine oder andere Lehrer, Dank verdient hätte.”
- Wer sollte Lehrer werden? „Man sollte von den Fächern, die man studiert, begeistert sein, man muss Kinder und Menschen mögen, gerne erzählen…”
- Wer sollte nicht Lehrer werden? „Alle, die zurückgezogen und ängstlich sind, und die davon ausgehen, dass sie das ein Leben lang bleiben. Dann um Gottes Willen werde bitte nicht Lehrer!”