Einige Wochen vor Schuljahresende von Klasse 2 sagte ein Mädchen zu mir: „Herr Breuning, warum sollen wir eigentlich immer schön schreiben, wenn deine Schrift nicht so schön ist?!” Was hatte ich doch für ein Glück, dass ich erst einige Tage zuvor auf ein paar meiner alten Schreibhefte gestoßen bin, die ich selbst im 2. Schuljahr beschrieben hatte. Als ich dem Mädchen dann einige der Hefte aus meiner Grundschulzeit zeigte, staunte sie nicht schlecht über meine Handschrift.
Was die Handschrift anging, hatte ich damals wirklich viel Muße dafür! Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wenn mir Frau Finck einzelne Buchstaben und später Wörter in die Linienanfänge der Hefte schrieb, die ich dann immer wieder ergänzte. Ich empfand damals größte Freude, wenn alles schön gleichmäßig aussah. Überhaupt spielte Schrift damals eine große Rolle für mich. Ich weiß noch sehr gut, dass ich – im damaligen West-Berlin lebend – Brieffreundschaften nach Jugoslawien, West-Deutschland und in die Tschechoslowakei zu gleichaltrigen Freunden und Verwandten hatte. Regelmäßig saß meine Mutter an meiner Seite und diktierte mir, wie dieses oder jene Wort in meiner Muttersprache geschrieben wurde.
Was die nachfolgenden Diktate bzw. die Notenspiegel zeigen, ist, dass früher nicht alles besser war, wie man immer wieder hören kann. Nein, auch damals gab es Kinder, die eine katastrophale Handschrift hatten und bei Diktaten immer überaus schlecht abschnitten. Weshalb nun gerade mir das Sprachliche und Ästhetische eher leicht fiel, weiß ich nicht. Vermutlich mag eine Rolle gespielt haben, dass für mich geschriebene Texte nicht nur zum Schulalltag gehörten, sondern mir immer auch zu Hause begegneten und ich immer schon gerne schrieb, wie man auch an diesem Blog erkennen kann.
Leider hat die Bedeutung der Handschrift heutzutage sehr stark abgenommen. Sie spielt für Kinder und Jugendliche praktisch nur noch in der Schule eine Rolle, während sie sich ansonsten ausschließlich über eine mehr oder minder virtuelle Tastatur mitzuteilen brauchen. Das schmälert natürlich die Bedeutung einer sauberen Handschrift für den Alltag der Kinder und Jugendlichen. Aber nicht nur die Kinder und Jugendlichen sind betroffen! Welcher Erwachsene schreibt heutzutage noch Briefe, schreibt Kochrezepte ab, wie meine Mutter damals, führt Buch über die großen und kleinen Ausgaben des Haushalts oder anderes mehr – und das alles mit einem Stift in der Hand? Natürlich hat das Mädchen aus „meiner” Klasse Recht, wenn sie von Erwachsenen das einfordert, was Erwachsene von Kindern einfordern. Erwachsene sind Vorbilder – und zwar alle Erwachsene! Es sind nicht nur die Lehrer in der Schule, sondern auch die Eltern zu Hause gemeint. Eltern machen es sich zu leicht, wenn sie sich aus der Verantwortung stehlen und sie ausschließlich auf die Schule schieben wollen.
In den sog. Erste Welt-Ländern werden nur noch vergleichsweise wenige Menschen von sich behaupten können, dass sie mehr mit der Hand schreiben als sie mit einer Tastatur tippen. Unter diesen Bedingungen fällt es selbstverständlich immer schwerer, für eine saubere Handschrift überzeugend einzutreten. Denn auch die Schüler sehen jeden Tag, wie sehr die Technik unseren Alltag bestimmt.
Ich würde mich nicht wundern, wenn in einigen Jahrzehnten die lateinische Ausgangsschrift und andere derzeit aktuelle „Schulhandschriften” der deutschen Sprache ausgestorben sein werden. Vermutlich wird die lateinische Ausgangsschrift später in Kalligraphie-Kursen gelehrt, die dann nur noch von einigen wenigen Interessierten beherrscht werden wird. Und wer weiß, vielleicht werde auch ich dann als alter Opa einen dieser Kalligraphie-Kurse leiten! Ausreichend schriftliche Vorlagen dazu hätte ich ja, wie mein Diktatheft zeigt.