Neulich sah ich mir erneut das Interview von einer Mutter mit Manfred Spitzer über „Lernen und Motivation” an: Video ansehen. Spitzer hat u.a. Philosophie studiert und wird von der Interviewerin gefragt, inwiefern das Philosophiestudium sein „Forscherverhalten” geprägt hätte. Seine Antwort gibt er im Interview ab 11.20min. Zusammengefasst sagt er:
- Er habe denken gelernt, und zwar gründlich.
- Er habe sich einen „Weitblick” angeeignet.
Denken lernen – was bedeutet das? Wie vollzieht sich „Denken”? Ich versuche zu formulieren, was ich darunter verstehe: Denken beschreibt alle Prozesse, bei denen viele lose „Einzelgedanken” entstehen, die unbewusst oder bewusst bewertet, verworfen und/oder fortgeführt werden und weiter zu einem strukturierten Gedankengang zusammengeführt werden. Am Ende steht ein, wie auch immer gearteter, Erkenntnisgewinn. Denken ist also etwas komplexes, das sich in abstrakter Form, also in unserer Vorstellung vollzieht.
Können Grundschulkinder so etwas leisten?
Der Buchmarkt bietet eine Fülle an Anregungen, die Kinder zu diesen Leistungen herausfordern. Einige Beispiele sind:
- Ist 7 viel? 44 Fragen für viele Antworten
- Denk dir die Welt Philosophie für Kinder
- Selber denken macht schlau
- ICH – Was ist das?: Philosophieren mit neugierigen Kindern
Strukturiertes Denken, so sagt Spitzer, habe er im Philosophiestudium gelernt. Strukturiert zu denken ist meines Erachtens aber nicht nur für Erwachsene notwendig, sondern auch für Kinder. Dazu rege ich sie derzeit ein wenig an. Am Montag bat ich sie, sich mit der Frage auseinander zu setzen: Ist 12 viel? Ich war gespannt, was Kindern dazu einfällt, ohne dass ich in irgendeiner Form etwas vorgebe. Es war höchst interessant zu hören, welche Antworten heute vorgetragen wurden. Während einige Kinder konkrete Beispiele aneinander reihten (Ein 12 cm langer Wurm ist größer als ein 12 mm langer), um das „Es kommt darauf an” zu beschreiben, erklärten andere bereits quasi auf einer Meta-Ebene, dass es auf den Zusammenhang von Einheit und Zahl ankäme oder beschrieben gar die Größe der Zahl 12 im Verhältnis zu allen anderen Zahlen. Hochinteressant für mich war auch der Beitrag, dass die „Größe” der Zahl 12 abhängig sei davon, was man tue und mit wie viel Lust. 12 km Auto fahren sei ja schließlich nicht so lang und auch nicht so anstrengend, wie ein 12km langer Spaziergang, der abhängig von dem Gelände sogar sehr anstrengend sein könne.
Strukturierte und durchdachte Antworten auf diese offenen Fragen zu finden, ist mit Sicherheit eine große Herausforderung und gelingt den Kindern auf verschiedenen Ebenen. Ich entließ die Kinder heute mit der Frage: Wer ist „Ich”? Zu Hause sollen sie nun schon alleine nachdenken und vor allem mit ihren Freunden sprechen, mit Eltern, Geschwistern etc. Ohne miteinander zu reden, wird man nur selten in der Lage sein, gut durchdachte Antworten zu geben. Morgen werde ich eine kurze Sammelrunde machen, wo die Kinder ihre Ideen, ihren persönlichen Blickwinkel auf die Frage vorstellen werden, um sich so gegenseitig zu weiteren Ideen anzuregen.
Denken lernen, die eigenen Gedanken zu einem strukturierten „Kerngedanken” zu überführen und diesen zu artikulieren, das ist es, was Kinder in sehr vielen Bereichen des Schullebens benötigen, zum Beispiel beim Verfassen von Geschichten in Deutsch, beim Gespräch miteinander, ganz besonders in allen Bereichen der Mathematik, sowie beim Experimentieren. Insofern stellt sich für mich dabei durchaus die Frage, inwieweit Philosophieren mit Kindern dazu beitragen kann, dass Kinder lernen, sich strukturiert zu äußern, strukturiert zu schreiben. Spitzer würde ausgehend von seinen Erfahrungen möglicherweise antworten: „Sehr viel.” Ich werde die Ergebnisse der Kinder mit Spannung weiter verfolgen und ggfs. zu einem späteren Zeitpunkt einen weiteren Beitrag dazu verfassen.