Im Laufe des ersten Schuljahres stellen sich Eltern oft die Frage, wie sie ihrem Kind helfen können, wenn es lesen lernt. Folgender Artikel stellt einige Übungsmöglichkeiten vor, wie man spielerisch die Fähigkeiten trainiert, die für das Lesen notwendig sind. Im weiteren Teil stelle ich Übungen vor, die man am Rechner leicht selbst herstellen kann. Vor Beginn des Artikels muss ich einige Fachbegriffe klären:
- Laute und Buchstaben = Laute sind das, was wir hören können und sprechen, z.B. das „ch” bei Buch oder „a” bei Nase. Buchstaben versuchen den Laut darzustellen, d.h. Buchstaben sind das, was wir schreiben und lesen. (Ein Buchstabe kann für verschiedene Laute stehen, siehe lange und kurze Vokale.)
- Anlaute = das Gehörte am Anfang eines Wortes, z.B. „B” bei Banane („B” nicht Be)
- Inlaute = das Gehörte in der Mitte eines Wortes, z.B. „anan” bei Banane oder später, wenn die Hörfähigkeiten des Kindes ausgeprägter sind, die einzelnen Laute, also „a”, „n”, „a”, „n”
- Endlaute (auch: Auslaute) = das Gehörte am Ende eines Wortes, z.B. „e” bei Banane
- Vokale (Selbstlaute) = alle Laute, bei denen man nur einen Laut hört, also A, E, I, O, U (Ä, Ö, Ü)
- lange und kurze Vokale: Ein Beispiel: Der Laut „e” kann kurz ausgesprochen werden, wie bei Banane oder Ente. Der Laut kann aber auch lang gesprochen werden, wie am Anfang bei Esel.
HÖREN: Laute hören
- Ich sehe was, was du nicht siehst und das fängt mit „A” an / hört mit „A” auf / hat in der Mitte ein „A”.
- Gegenstände (z.B. Spielsachen) nach An-/In-/Endlaute ordnen
- Wer gewinnt? (Einen An-/In-/Endlaut nennen z.B. „A” und dazu Gegenstände / Namen / finden, für jedes gefundene Wort gibt es einen Punkt – Wer schafft 10 Punkte?)
- Kommt ein „A” im Wort „Wald” vor?
- geübte Wörter von den Lippen ablesen
- „A‑Geschichte” – Lesen Sie einen kurzen Abschnitt einer Geschichte vor. Wenn ein „A” gehört wird (An-/In-/Endlaut?), stellt sich das Kind hin / malt einen Punkt etc. Man kann vor der Geschichte sagen, dass 8 A vorkommen. Am Schluss überprüft das Kind durch Zählen, ob es alle A gehört hat.
- Welcher Laut kommt überall vor? z.B. 3 Wörter nennen – Sonne – Mond – rot. Achten Sie auf kurze/lange Vokale! Schwierigkeitssteigerung!
HÖREN: Laute unterscheiden
- Gleich oder nicht gleich? Ähnlich klingende Wortpaare nennen. Wortpaare können dann auch aufgemalt werden.
- Reimwörter finden!
- Reimpaare finden, z.B. Haus – Kater – Maus
SEHEN: Buchstaben (wieder-)erkennen
Kinder, die sich die Schreibweise nicht auf Anhieb merken können, schreiben von GROß NACH KLEIN! Schreiben Sie den Buchstaben/die Zahl groß in die Luft, dann auf den Tisch, auf den Rücken, groß auf ein Blatt, etc. immer kleiner werden.
- Wortlücken ergänzen: ___lange ___ild
- Gleiche Buchstaben in Wörtern suchen: Leo Ole Ela…
- Wie viele Buchstaben sind in dieser Zeile (eines Buches/Heftes)?
- Schwieriger: Wörterschlangen bilden, immer der letzte Buchstabe eines Wortes ist der erste Buchstabe eines neuen Wortes! (Anfangs müssen Eltern die Wörter aufschreiben, schreibende Kinder können es auch selbst tun)
- aus einem Buchstabenhaufen (Buchstabensuppe?) die Buchstaben ordnen (Groß-/Kleinbuchstaben!)
HÖREN & SEHEN: Laute und Buchstaben
- Buchstaben würfeln: den Zahlen eines Würfels werden Buchstaben zugeordnet, z.B. 1 -> B, 2 -> G, 3 -> E etc. Wer eine Zahl gewürfelt hat, muss zu diesem Buchstaben ein Wort nennen. (An-/In-/Endlaut)
- Bilder malen: Male eine grüne „W” unten auf ein Blatt, ein „H” nach oben… Die Buchstaben können genannt oder gezeigt(!) werden.
‘LESEN’: Analyse-Synthese
Bei unbekannten oder nicht sicher gelernten Wörtern lesen Sie immer erst das ganze Wort vor! Danach die Einzelteile untersuchen!
- Silbenklatschen, Wörter in Silben zerlegen (Kinder, die sich schwer tun, sollten vorerst Wörter erhalten, wo eine Silbe auch nur aus 2 Buchstaben besteht, z.B. Ba – na – ne. Eventuell müssen vorher noch die Einzelsilben Ba oder na oder ne „verschmolzen” werden, d.h. Sie sprechen beide Laute getrennt, also B und a und danach verschmolzen Ba. Das Kind muss nachsprechen! Lesen Sie die Laute so wie sie im Wort vorkommen, hier also mit kurzem a!)
- Welche Wörter findest du? Silben zusammensetzen, z.B. ma sen le len li la auch: Lege das Wort „malen”
- Namen bilden, z.B. welche Namen gibt es am Anfang mit Ma- Sinnvoll ist es ein paar Silbenkarten zu schreiben, die zusammengesetzt werden!
- Silben gehen: Für jede gefundene Silbe darf man einen Schritt nach vorne gehen, Wer findet ein Wort mit den meisten Silben? Wer schafft als Erstes 10 Schritte? Anstatt zu gehen kann man auch Kreuzchen auf Papier machen.
- Was stimmt? Mehrere Wörter auslegen, z.B. Auto, Bein, Spielsachen, Tür, Teller. Einer klatscht sooft, wie das Wort Silben hat, z.B. 2 Mal. Welches Wort kann das gewesen sein?
- Wörter verzaubern: Panne – Tanne, mal – Wal, Pappe – Mappe, pennen – nennen, Nina – Tina, Pampe – Lampe, Tonne – Sonne etc. Hilfsmittel: Buchstabenkärtchen Das Kind setzt oder liest nur z.B. das Wort Panne, danach nehmen Sie das P weg und legen das T dazu. Oder: Das Kind erhält die Aufgabe, einen neuen Buchstaben zu finden. WICHTIG: Bei ALLEN Übungen MUSS den Kindern der Sinn des Wortes klar sein! Was ist eine Panne?
- Wörter puzzeln / Scrabble: Wörter mit Buchstabenkärtchen legen, oder zum Bsp.
http://www.kidoh.de/holz-lernspiel-woerter-legen/index.html?b=793769 - frühestens im 2. Hj.: Wörter auf- und abbauen APFEL: A AP APF APFE APFEL -> Jeder Buchstabe ist wichtig! Vor allem auch bei oberflächlich-schnell lesenden Kindern hilfreich.
- später: Sätze in Wörter zerschneiden und zusammensetzen
Den Kindern muss spätestens am Ende von Klasse 1 klar sein, was
ein Buchstabe, ein Laut, eine Silbe, ein Wort und ein Satz ist.
Übungen zum Leseverständnis
Abschließend ein paar Tipps, wie Sie das Leseverständnis fördern können.
- Lesen, wo es gemütlich, z.B. auch auf dem Boden
- Wenn man etwas vorliest, dann soll das Kind mitdenken! Beispiel: Sehen Sie sich zunächst das Bild an, falls es eines gibt. Was ist darauf zu sehen? Was kann das mit dem Abschnitt zu tun haben?
- Wenn Sie die Überschrift gelesen haben: Was könnte jetzt alles vorkommen? Auch nach ein paar Zeilen möglich… Wie geht es jetzt weiter? Vermutungen anzustellen ist für das Leseverständnis SEHR WICHTIG, weil eine Erwartungshaltung aufgebaut wird! Man liest aufmerksamer!
- Das Kind kann zum Gelesenen ein Bild malen; später bei Interesse ein kleines Lesetagebuch aus den gemalten Bildern und/oder geschriebenen Texten – z.B. Lieblingsabschnitt abschreiben, eigene Texte etc. – anlegen.
- Lesen ohne Wortlücken! Schreiben Sie am Computer einen kleinen Text OHNE die Leerzeichen, also so: HeuteisteinschönerTag. Das Kind soll die Wortgrenzen finden und mit einem Strich eintragen. Wichtig: Wählen Sie eine gute Schriftgröße und erhöhen Sie etwas den Abstand zwischen den Buchstaben. Wer nicht weiß, wie man den Buchstabenabstand einstellt, setzt einfach zwischen die Buchstaben ein Leerzeichen: H e u t e i s t e i n s c h ö n e r… Kann man bei Fortgeschrittenen mit unbekannten Wörtern machen oder – einfacher – nur mit bekannten Wörtern oder nur mit Namen: L e a A n n a D a n i e l etc. oder: L E A A N N A D A N I E L
- Bei gemeinsamen Lesen: Wenn das Kind stockt, dann liest man als Erwachsener die Zeile mit dem fehlerhaften Wort vor oder nur ein paar Wörter. Man sagt: Zeige mir das Wort A, das Wort B. Danach liest man mit angesagtem Fehler. Dann erst liest das Kind zum zweiten Mal.
Übrigens, auf einer Buchseite können Sie auch wichtige Orientierungsübungen machen: Wo stehen die Seitenzahlen? (Lassen Sie das Kind erst antworten – unten links – und erst danach mit dem Finger zeigen!) Wo fängt die Überschrift an? (oben links) Wo hört sie auf? usw. Findest du das Wort XYZ? oder Blinde Kuh mal anders: Wo steht das Wort „XYZ”? Hoch, hoch.… links, links, rechts, runter, etc. oder Wie viele Zeilen hat die Seite? Lassen Sie auch mal schätzen. Schätzen und das anschließende Überprüfen sind übrigens für die mathematische Zahlvorstellung enorm wichtig und kann man praktisch jederzeit mit vielen Dingen machen!
Noch mehr Übungen…
Denken Sie bitte bei allen Übungen an die vollständige Durchstrukturierung eines Wortes.
1) Erlesen
Gehen Sie vom ganzen Wort aus. Den Kindern muss das Ziel klar sein, also wie das Wort klingen muss. Kinder, die das Wort bereits erlesen können, müssen das unbekannte Wort aber nicht mehr durchstrukturieren!
2) Schreiben
Schreiben bedeutet am Anfang vor allem, dass Wörter aus Buchstaben(kärtchen) gelegt werden! Die zu legenden Buchstaben sollten bei schwachen Lesern vorher ausgewählt werden. Schreiben auf Papier ist viel anspruchsvoller und ist dem Legen der Buchstaben nachgeordnet. Das Kind soll beim Schreiben immer auch die Buchstabentabelle benutzen!
3) Wörter verzaubern
Ein Buchstabe oder Doppelbuchstabe wird ausgetauscht: Sonne – Tonne, Wanne – Kanne, Matte – Mappe, Wand – Wind
Man kann hierbei zwei Wege beschreiten: Sie verändern das Wort, z.B. Sonne in Tonne. Das Kind erliest die Unterschiede. Sie geben das Ziel vor: Zaubere aus der Wann eine Kanne. Hier muss das Kind den betreffenden Buchstaben mit den Buchstabenkärtchen austauschen oder neu schreiben.
4) Wörter vervollständigen
Hiermit sind die bekannten Lückenwörter gemeint: M_ma. Sie geben das Zielwort vor, also Mama, und das Kind setzt den passenden Buchstaben mit den Kärtchen oder, wenn es das schon kann, schreibt es den Buchstaben auf den Strich.
5) Wortaufbau und Wortabbau
Legen Sie ein Wort, z.B. Mama. Nennen Sie das Wort und nehmen Sie den letzten Buchstaben weg. Wie klingt das Wort jetzt? Gehen Sie das ganze Wort noch einmal durch. Nehmen Sie den vorletzten Buchstaben weg usw. Danach bauen Sie das Wort auf.
Quellen der Übungsvorschläge
Die Übungen und methodischen Hinweise habe ich den Lehrerunterlagen zur Tobi-Fibel, sowie dem Buch „Handbuch der Leseübungen” entnommen.