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Com­pu­ter in der Grundschule

Mein ers­ter Com­pu­ter, ja, das ist schon lan­ge her! Es war der Com­mo­do­re 16, den ich mir damals von mei­nem erspar­ten Geld für 150 DM gekauft habe. Genau die­ser C‑16 war 1985 der ers­te jemals von Aldi ver­kauf­te Com­pu­ter. Ich erin­ne­re mich noch sehr genau dar­an, dass dem Com­pu­ter eine Data­set­te bei­lag! Wow! 😀 Etwas spä­ter spiel­te und arbei­te­te ich mit einem C‑64 und dem Ata­ri 520ST. Nach meh­re­ren Jah­ren ohne Com­pu­ter und einer neu­en Frei­zeit­be­schäf­ti­gung folg­te 1998 dann der ers­te „moder­ne” PC mit Win­dows. Zur glei­chen Zeit etwa stieß ich auf die Idee von Open Source, was mich zu Linux führ­te. Nur weni­ge Jah­re spä­ter kehr­te ich Win­dows den Rücken und wech­sel­te ganz zu Linux. Seit­dem nut­ze ich pri­vat abwech­selnd ver­schie­de­ne Linux-Dis­tri­bu­tio­nen. Ich den­ke also, dass ich über eine recht lan­ge Erfah­rung mit diver­sen Com­pu­tern ver­fü­ge und das nahe­zu „von Kin­des­bei­nen an”.

Im Arti­kel Vor­sicht Bild­schirm, Kin­der! habe ich von einer Ver­an­stal­tung mit Man­fred Spit­zer berich­tet, die ich kürz­lich besucht habe. Wäh­rend des Vor­tra­ges muss­te ich häu­fig an mei­ne Erfah­run­gen aus dem Unter­richts­all­tag und vor allem der Com­pu­ter-AG den­ken. So erzähl­te Spit­zer u.a.:

  1. Such­ma­schi­nen sind für Kin­der unge­eig­net. Gezielt suchen kann nur der­je­ni­ge, der schon viel über ein The­ma weiß.
  2. Com­pu­ter ver­lei­ten zum Daddeln.
  3. Mit der Hand zu schrei­ben, för­de­re das Denken.

zu Punkt 1: Ich war anfangs ein Befür­wor­ter, dass in Grund­schu­len die Such­ma­schi­nen im Inter­net nicht beschränkt wer­den dürf­ten. Heu­te befür­wor­te ich in der Grund­schu­le eher restrik­tiv zu han­deln und nur bestimm­te Web­sei­ten zuzu­las­sen. Hier hel­fen auch die Kin­der­such­ma­schi­nen nur bedingt wei­ter. Die Web­sei­te ist zwar etwas bun­ter und die Ergeb­nis­se even­tu­ell „kind­ge­rech­ter” prä­sen­tiert. Aber das Pro­blem bleibt, dass Kin­der die gehalt­vol­len von den weni­ger gehalt­vol­len Sei­ten kaum unter­schei­den kön­nen. Das inhalt­li­che Ange­bot ist schlicht und ergrei­fend zu groß. In der Regel ist die bun­te­re Sei­te die bes­se­re bei deut­lich schlech­te­rem Inhalt. Man­che Kin­der ver­lie­ren sich im Inter­net leicht, ver­lie­ren ihren Fokus und wer­den von ande­ren Din­gen angezogen.

zu Punkt 2:
Ich erle­be immer wie­der, dass das Attrak­tivs­te im Inter­net Bil­der und online-Spie­le sind. Von mei­nen ers­ten Jah­ren mit den Com­pu­tern weiß ich, wie sehr man dazu ver­lei­tet wer­den kann, Com­pu­ter aus­schließ­lich als Spiel­zeu­ge wahr­zu­neh­men. Der C‑16 und der C‑64 waren für mich aus­schließ­lich das, was heu­te die Spie­le­kon­so­len sind.

zu Punkt 3: Was das Schrei­ben von Tex­ten mit der Hand oder der Tas­ta­tur betrifft, bin ich mir in mei­nem Urteil nicht sicher. Denn mei­ne Beob­ach­tun­gen gehen hier weit aus­ein­an­der! Ich erle­be Kin­der, die groß­ar­ti­ge Tex­te ver­fas­sen, wenn sie sie am Com­pu­ter über meh­re­re Tage lang tip­pen. Ich erle­be aber auch Kin­der, die sich genau das auch vor­neh­men, und dann nahe­zu nichts pro­du­zie­ren, weil sie sich von Web­an­ge­bo­ten oder „net­ten Bild­chen” ablen­ken las­sen. Die­se Kin­der schrei­ben mit der Hand tat­säch­lich ver­gleichs­wei­se bes­se­re Texte.

Aus mei­nen Stu­di­en­zei­ten erin­ne­re ich mich noch an ein Semi­nar, das ich, obwohl ich an der FU Ber­lin imma­tri­ku­liert war, an der TU Ber­lin absol­vier­te, da mich dort ein The­ma beson­ders ansprach. An der TU exis­tiert seit den 80ern die sog. Com­pu­ter­Lern­Werk­statt (CLW), eine von Prof. Bar­ba­ra Kochan gelei­te­te Arbeits- und Forschungsruppe.

Kochan schreibt in einem Auf­satz aus dem Jahr 2004 dar­über, wie Kin­der Tex­te ent­ste­hen las­sen und wel­che Vor­tei­le dabei der Com­pu­ter bietet:

Da ist ein Ideen­flim­mern, aus dem man Inhal­te gedank­lich her­aus­fas­sen, sprach­lich for­mu­lie­ren und schließ­lich nach den Regeln der Ortho­gra­phie und in les­ba­rer Hand­schrift ver­schrif­ten muss. Dabei flat­tern die Gedan­ken zwi­schen die­sen Ebe­nen hin und her. Beim Hand­schrei­ben muss man dies alles „auf die Rei­he” gebracht haben, bevor man den Stift auf­setzt. Im Ver­gleich zu den rekur­si­ven geis­ti­gen Vor­gän­gen im Kopf ist das hand­schrift­li­che Nie­der­schrei­ben ein linea­rer Pro­zess. Das berei­tet – nicht nur Kin­dern – Schwie­rig­kei­ten. Beim Schrei­ben mit dem Com­pu­ter dage­gen kann man – mit der Lösch­funk­ti­on – am Pro­dukt immer wie­der Ände­run­gen vor­neh­men. Es muss also nicht line­ar ent­ste­hen. So kann sich das Kind zunächst ganz auf den Inhalt kon­zen­trie­ren und am Aus­druck, der Recht­schrei­bung und der äuße­ren Form (Lay­out) nach­träg­lich arbei­ten. Die Vor­läu­fig­keit und Fexi­bi­li­tät des Tex­tes auf dem Moni­tor kommt also den geis­ti­gen Kom­po­nen­ten des Schrei­bens und der Fle­xi­bi­li­tät des Den­kens beim Schrei­ben entgegen

Quel­le: Kochan & Schrö­ter: Wie Kin­der mit dem Com­pu­ter Tex­te ver­fas­sen und dabei schrei­ben und lesen ler­nen können

So sehr der Com­pu­ter die­sen Vor­teil der „Lösch­tas­te” hat, fra­ge ich mich, ob AUCH Com­pu­ter zum Ver­fas­sen von Tex­ten genutzt wer­den sol­len. Grund­sätz­lich befür­wor­te ich es, da Kin­der ihre Tex­te leicht und optisch so über­ar­bei­ten kön­nen, dass die gedruck­ten Tex­te wun­der­bar aus­se­hen. Wird der Text mit Fül­ler, Kil­ler, Blei­stift und Radier­gum­mi über­ar­bei­tet, sieht das Ergeb­nis im Ver­gleich zum Aus­druck meist nicht mehr anspre­chend aus. Und wie vie­le Kin­der sind von sich aus so moti­viert, dass sie einen hand­schrift­lich mehr­fach redi­gier­ten Text am Ende noch ein­mal ins Sau­be­re schrei­ben? Vor allem die Jun­gen tun sich damit eher schwer und wür­den eine sol­che Auf­ga­be künf­tig wohl kaum noch von allei­ne angehen.

Was ich beob­ach­ten kann: Die Tex­te am Com­pu­ter wer­den meist län­ger als hand­ge­schrie­be­ne! Das erfor­dert von mir als Leh­rer, dass ich mich nun deut­lich inten­si­ver mit einem Text beschäf­ti­gen muss. Zunächst über­ar­bei­te ich mit einem Kind den Inhalt, anschlie­ßend den Aus­druck und schließ­lich die Recht­schrei­bung. Das dau­ert! Sehe ich mir mei­ne Auf­sät­ze aus mei­ner Grund­schul­zeit, – ja, ich habe sie noch, so wie auch die Dik­ta­te! – fällt mir auf, dass sie bei wei­tem nicht den Umfang hat­ten, wie die Tex­te, die ich heu­te von den Dritt­kläss­lern lese! Die Fra­ge, die sich mir aber stellt, ist fol­gen­de: Ist weni­ger (Text) viel­leicht nicht am Ende mehr? Wäre es nicht viel­leicht bes­ser, lie­ber häu­fig Tex­te ein­zu­for­dern, die dann aber kür­zer sind? Oder ist es bes­ser, den Kin­dern die Mög­lich­keit des Ver­sin­kens in den eige­nen Text zu geben, was dann wie­der­um die­se lan­gen Tex­te her­vor­bringt? Bei die­sen Tex­ten, da sie mehr Zeit brau­chen, ist es dann nicht mehr mög­lich, häu­fi­ger bestimm­te zu über­ar­bei­ten­de Schwer­punk­te anzusprechen.

Spit­zer stell­te in sei­nem Vor­trag eine Stu­die in Chi­na vor, bei der fest­ge­stellt wur­de, dass der Ver­lust der Hand­schrift dazu führt, dass die Lese­er­geb­nis­se von dor­ti­gen Viert­kläs­sern signi­fi­kant schwä­cher gewor­den sind. Ob dies auch auf Deutsch­land über­trag­bar ist, scheint frag­lich, wie er auch betont, da in Chi­na unfass­bar viel mehr Schrift­zei­chen zu ler­nen sind als bei uns. Nichts­des­to­trotz soll­te die Stu­die im Hin­ter­kopf behal­ten wer­den, um bei Kin­dern mit Lese­schwie­rig­kei­ten zu über­prü­fen, ob sie nicht bes­ser ihre Tex­te mit der Hand schrei­ben als am Com­pu­ter tippen.

Schluss­fol­ge­run­gen

  1. Bedeut­sa­mer als Com­pu­ter in der Grund­schu­le hal­te ich Bücher. Eine Klas­sen­bü­che­rei mit Kin­der­bü­chern, Sach­bü­chern und auch ver­schie­de­nen Schul­bü­chern gehö­ren in jede Klas­se. Dar­in sind die The­men näm­lich viel kla­rer umris­sen, sie haben einen Anfang und ein Ende. Lie­ber eine regel­mä­ßig aktua­li­sier­te Klas­sen­bü­che­rei als ein Smart­board ist mei­ne Mei­nung, der ich ja nun selbst schon seit 5 oder 6 Jah­ren eine sol­che Tafel im Klas­sen­raum nut­ze – eine Krei­de­ta­fel habe ich nicht mehr. Neben­e­bei bemerkt: Eine Schul­bü­che­rei für alle ist zu wenig.
  2. Ich habe die alten PCs aus dem PC-Raum der Schu­le aus­ge­mis­tet. Statt­des­sen habe ich win­zi­ge und kos­ten­güns­ti­ge Raspber­ry Pis ange­schafft, die zum Glück für all die uner­träg­li­che „Lern­soft­ware” für Win­dows und auch die Flash-Spie­le unge­eig­net sind. Ger­ne hät­te ich noch eine White­list ein­ge­rich­tet, so dass die Kin­der nur bestimm­te Web­sei­ten besu­chen dür­fen, was ich aller­dings nicht durch­set­zen konn­te. 😉 Der Com­pu­ter soll als Werk­zeug zum Schrei­ben even­tu­ell noch zum Pro­gram­mie­ren (Scratch) begrif­fen wer­den, aber nicht pri­mär als Spiel­zeug. Denn die­se Ver­bin­dung stel­len die meis­ten Kin­der nach­mit­tags nach der Schu­le ohne­hin von ganz allei­ne her.
  3. Aus dem vor­an­ge­gan­gen Punkt folgt der letz­te Gedan­ke: So sehr ich mir es für eini­ge Kin­der wünsch­te, sind Com­pu­ter aus dem All­tag nicht mehr weg­zu­den­ken. In der Schu­le soll­te Kin­dern daher ein alter­na­ti­ves Ver­ständ­nis des Com­pu­ters ver­mit­telt wer­den: „Erst Werk­zeug, mit dem wir etwas pro­du­zie­ren / erschaf­fen kön­nen und danach Spiel­zeug – nicht umge­kehrt!” Von die­ser Prä­mis­se aus­ge­hend fin­de ich auch die meis­te sog. „Lern­soft­ware” für über­flüs­sig. Zugleich muss immer auch der Nut­zen tech­ni­scher Gerä­te reflek­tiert wer­den – auch in der Grund­schu­le -, da dies zu Hau­se nicht immer in dem not­wen­di­gen und reflek­tie­ren­dem Maße erfolgt.

Ergän­zung zur ers­ten Schluss­fol­ge­rung: Wer her­aus­liest, das ich elek­tro­ni­sche White­boards doof fin­de, der ver­steht mich falsch. Es geht mir dar­um zu hin­ter­fra­gen, ob das, was mög­lich ist, auch nötig ist, und wenn ja, wozu bzw. wie. Denn ich stel­le für mich fest, dass mir für die meis­ten Auf­ga­ben ein Bea­mer rei­chen würde.

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