Nächsten Montag beginnt das neue Schuljahr in Rheinland-Pfalz. Für mich bedeutet das, die Kinder der 4. Klasse zum Ende der Grundschulzeit zu führen. Ausgehend von den Erfahrungen aus den letzten drei Schuljahren habe ich mir ein paar Neuerungen überlegt.
Erstens: Angeregt von dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg habe ich mich mit sog. Giraffenschulen auseinandergesetzt (u.a. GFK, Buch: GFK in der Schule, The day of the giraffe, …). Hier fand ich eine simple Lösung für das Dilemma von Offenheit und Zielorientiertheit im offenen Unterricht. In Giraffenschulen werden die Erwartungen, die an die Schüler gestellt werden, für alle einfach präsent gemacht: „Das erwarte ich von dir am Ende des Schuljahres.” Die Erfahrung soll damit, was ich gelesen habe, äußerst positiv sein. Für mich leitete ich daraus ab, für die Fächer Mathe, Deutsch und Sachunterricht (= Wissen) eine Vorlage zu entwerfen, auf denen ich die wesentlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aufzähle, die einerseits von den Bildungsstandards/Rahmenplan vorgegeben sind und andererseits meine Erwartungen abdecken. Für Mathe hieß das beispielsweise:
- die Grundrechenarten können
- alle Fachwörter kennen
- …
In Deutsch beispielsweise:
- eine Szene / Dialog / Theaterstück entwerfen und spielen (lassen)
- Zusammenfassungen von Texten verfassen
- …
Für Deutsch und Mathe sind die Erwartungen auf je knapp drei DIN A4-Seiten stichpunktartig im Querformat in großer Schriftgröße zusammengefasst.
Angeregt durch ein Gespräch mit einer Kollegin aus der Wienbrede-Schule in NRW übernahm ich auch noch ein paar Punkte aus dem Bereich Fähigkeiten (Arbeitsverhalten) und Techniken (siehe deren Zeugnisse für Klasse 4).
Diese Erwartungen hängen jetzt einlaminiert und für alle sichtbar an der Wand nahe des Platzes, wo der Stuhlkreis gebildet wird. So sind sie stets sichtbar und auch für mich bedeutet es, dass ich auf kurzem Wege darauf hinweisen kann. Die Erwartungen sind eine Möglichkeit, um dem von Lehrerinnen oft beklagten fehlenden Überblick im offenen Unterricht zu begegnen.
Zweitens: Neben den Erwartungen habe ich ausgehend vom Artikel „Über den Unsinn der Ziffernnoten” einige Arbeitsergebnisse formuliert, die ich zu einer sog. Leistungsvorlage zusammengefasst habe. Da heißt es dann für den Bereich „Wissen”, dass bis zum Dezember jedes Kind ein Verkehrsquiz erstellt, sich in Europa, Deutschland und Rheinland-Pfalz auskennt und einen Vortrag zu einem beliebigen Thema vorbereitet und vorträgt. Welche Formen der Präsentation die Kinder dann wählen, wie tief sie sich inhaltlich einlassen, inwiefern sie meine Tipps und Hinweise umsetzen, bestimmen sie selbst. Genauso auch, in welcher Weise sie andere Kinder und mich dabei um Unterstützung bitten.
Drittens: Ich habe seit nunmehr fast zwei Jahren ein Smartboard in der Klasse, das ich jetzt öfters nutzen werde. Jeden zweiten Morgen lese ich oder ein anderes Kind zwei bis drei Sätze aus einem Text vor. Die Schüler schreiben mit und anschließend wird analysiert (Wortart, Satz, Satzglied etc.). Diese Rechtschreibübung einer Kollegin habe ich phasenweise schon in Klasse 2 und 3 durchgeführt, aber mit Hilfe des Smartboards wird sich das interaktiver mit den Kindern gestalten lassen. Den anderen Morgen im Wechsel habe ich sog. Aufgabentypen zum Blitzrechnen (siehe Müller/Wittmann: Handbuch produktiver Rechenübungen) vorbereitet. Das heißt beispielsweise, dass auf einer Seite am Smartboard eine Aufgabe gezeigt wird „Ergänze bis 1 Million: 600.000”, was erweiterbar ist auch auf geometrische Wahrnehmungs- und Gedächtnisaufgaben. Es gibt immer etwa 10–15 Aufgaben. Für jede Aufgabe steht ähnlich wie in standardisierten Tests nur eine feste Zeit zur Verfügung, zum Beispiel 30 Sekunden. Jeden Morgen ginge somit eine 15–20 minütige „gemeinsame Phase” der freien Arbeit voraus. Wie sich die freie Arbeit gestaltet, beschreibe ich in einem weiteren Artikel.
Ich komme noch einmal zum Anfang zurück: Offenheit und Zielorientierung. Mit den Pfeilern Leistungsvorlage, Erwartungen und den gemeinsamen Übungen in einem Heft schaffe ich für alle Beteiligten – vor allem und insbesondere auch den Eltern – eine hohe Transparenz und durch das gleichmäßige Auffüllen der Hefte können sie sehen, was sie mit ihrem Kind üben könnten. Das Thema offener Unterricht und die damit verbundenen Ängste bei Eltern werde ich an anderer Stelle ansprechen insbesondere, wie man damit umgehen könnte.
Viertens: Nach den Osterferien werde ich für alle verpflichtend den Kurs „Überleben in der Sek I” durchführen. Die Idee dazu habe ich von der Grundschule Harmonie in Eitorf. Darin werde ich u.a. auf Fertigkeiten, wie zum Beispiel die Heft- und Hefterführung eingehen. Wenn Kinder ein gewisses Alter erreichen, ist es leichter, mit ihnen über bestimmte Dinge zu sprechen und ihnen die Notwendigkeit für ein bestimmtes Verfahren aufzuzeigen. Ich gehe hier den Weg Lernen durch Einsicht und vermeide es, das weit verbreitete 3,5 Jahre lang andauernde Lernen durch wiederholende Instruktion mit oft unbefriedigendem Erfolg: „Dein Heft führst du immer noch nicht sauber und immer noch nicht so, wie besprochen!” …Bereit sein ist viel, warten zu können ist mehr, doch erst den rechten Augenblick zu nützen ist alles (Arthur Schnitzler).