Eine Kollegin schickte mir vor wenigen Tagen einen Erlebnisbericht zu, nachdem sie die Erfahrungen der Kollegin der Froschklasse mit weiterführenden Schulen las:
Kürzlich habe ich an einem Treffen von GrundschulleiterInnen, GrundschullehrerInnen und (Deutsch-) LehrerInnen von weiterführenden Schulen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) teilgenommen. Es ging hierbei um die Frage, ob Grundschüler ausreichend auf die weiterführenden Schulen vorbereitet sind / werden – insbesondere im Fach Deutsch. Auf Anregung einiger Grundschulleiter kam es zu diesem Austausch, da es immer wieder Beschwerden von Deutsch-LehrerInnen der weiterführenden Schulen gab und gibt: Die Grundschülerinnen und Grundschüler hätten kaum noch eine „ordentliche“ flüssige und lesbare Schreibschrift und darüber hinaus würden sie vor allem in ungeübten Diktaten sehr viele Fehler schreiben.
Erhellend an diesem Treffen war für mich, dass den KollegInnen der weiterführenden Schulen weder die Grundschulordnung und die Rahmenpläne, noch die Bildungsstandards der Grundschule bekannt waren. Dies gilt auch für Methoden wie freies Schreiben, Rechtschreibkonferenzen, Wörterbucharbeit etc., die genauso wenig / kaum bekannt sind. Bisher ging ich davon aus, dass sich alle Schulen an dem alten pädagogischen Prinzip orientieren: „Die Kinder da abholen, wo sie stehen!“ Ich wurde eines besseren belehrt.
Was mich oft an der Einstellung der KollegInnen der weiterführenden Schulen verzweifeln lässt, ist die noch weit verbreitete Unfähigkeit, Kinder in ihrer Individualität wahrzunehmen und individuell zu fördern. Stattdessen wird noch viel zu häufig eine vorsortierte, gut vorbereitete (die Frage ist auf was?) und homogene Lerngruppe erwartet. Warum eigentlich? Hier muss aus meiner Sicht noch einiges an Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit auch an weiterführenden Schulen endlich erkannt wird, dass Kinder, die die Grundschule verlassen, eine Vielzahl an Fähigkeiten erworben haben, die darauf warten, weitergeführt zu werden!
Die Autorin arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule in Deutschland.
„Warum eigentlich?” Weil’s so im Lehrplan steht: „Schüler des Gymnasiums sollen geistig besonders beweglich und phantasievoll sein, gern und schnell, zielstrebig und differenziert lernen sowie über ein gutes Gedächtnis verfügen. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich ausdauernd und unter verschiedenen Blickwinkeln mit Denk- und Gestaltungsaufgaben auseinanderzusetzen und dabei zunehmend die Fähigkeit zu Abstraktion und flexiblem Denken, zu eigenständiger Problemlösung und zur zielgerichteten Zusammenarbeit in der Gruppe entwickeln.”
„Die Kinder da abholen, wo sie stehen!” Schon in der 5. Klasse trifft man sich beim Wandertag nicht unbedingt in der Schule, sondern macht unter Umständen einen gemeinsamen Treffpunkt anderswo aus, und sei es der S‑Bahnhof. Ein gewisses Entgegenkommen der Kinder – im wörtlichen Sinn, dann wieder im metaphorischen – darf man schon erwarten, finde ich.
Hallo Thomas, in welchem der Lehrpläne steht das? Solch eine allgemeine, überblicksartige Gegenüberstellung der Erwartungen, wie sie in den Lehrplänen der weiterführenden Schulen geschrieben ist, wäre ja angesichts der anstehenden Empfehlungsgespräche mal interessant für einen eigenen Artikel. 😉
… Ich habe eben ein paar Minuten nach dem von dir genannten Zitat gesucht und nur Ergebnisse aus Bayern erhalten. Sind die Erwartungen der Gymnasien in anderen Bundesländern andere?
Ah, ich bin aus Bayern und weiß nichts über die Lehrpläne andere Länder. Das Zitat stammt tatsächlich aus dem Lehrplan fürs bayerische Gymnasium, aus dem allgemeinen Teil. Aber so heiß gegessen wird das in der Realität auch nicht – und das sehe ich als Problem: das bayerische Gymnasium weiß nicht, wo es hin will oder soll.
In den jahrgangsstufenspezifischen Teilen sieht die 5. Klasse so aus:
„Die Schüler zeigen in der Regel eine ausgeprägte Wissbegierde, Freude am Entdecken, hohe Motivation und Leistungsbereitschaft. Allerdings stehen dem eine begrenzte Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit gegenüber.”
Ich habe schon länger keine 5. mehr gehabt, aber damals hat das auch gestimmt.
(Ich glaube,ich stelle mal die Lehrplanaussagen zu den einzelnen Jahrgangsstufen zusammen. Gerade in den Fach-Lehrplänen wird in den oberen Klassen die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer größer.)