Individualisierter Unterricht und Arbeitswelt

Ges­tern führ­te ich ein Gespräch mit einer ange­hen­den Kol­le­gin, die sehr auf­ge­schlos­sen gegen­über einem alter­na­ti­ven Weg von schu­li­schem Ler­nen ist. Sie erzähl­te mir, dass es ihr vor ihren Freun­den schwer fal­le, ihre Ideen für ein freie­res Ler­nen zu begrün­den. Oft wür­de ihr dann vor­ge­hal­ten, dass das nichts mit der Arbeits­welt zu tun hät­te. Kin­der, die in der Schu­le ent­schei­den dürf­ten, wor­an sie arbei­ten wol­len, wür­den spä­ter in der Arbeits­welt ihr blau­es Wun­der erle­ben. Dass der tie­fe­re Sinn von eige­nen Ent­schei­dun­gen der ist, einen Raum zu eröff­nen, in dem die Kin­der Selbst­wirk­sam­keit erfah­ren und sie lang­fris­tig Ver­ant­wor­tung für sich selbst (Eigen­ver­ant­wor­tung) ent­wi­ckeln kön­nen, habe ich bereits an ande­rer Stel­le beschrie­ben. Der Neu­ro­bio­lo­ge Gerald Hüt­her sieht dar­in das Kenn­zei­chen von „Auf­ga­ben, an denen man wach­sen kann”. Sol­che Auf­ga­ben stär­ken das Kind in sei­ner gan­zen Per­sön­lich­keit. Ich den­ke, dass Per­sön­lich­keits­bil­dung in einem Raum, wo indi­vi­du­el­le Lern­we­ge und The­men ermög­licht wer­den, eher gelin­gen kann, als in einem Unter­richt, wo vor­ge­ge­be­ne Inhal­te abge­ar­bei­tet und nach­voll­zo­gen, sie aber für den ein­zel­nen Schü­ler oft genug ohne per­sön­li­chen Bezug blei­ben und schnell ver­ges­sen werden.

Mar­tin Lai­dig, Vater von Schul­kin­dern und Ange­stell­ter beim inter­na­tio­na­len Unter­neh­men Hei­del­ber­ger Druck, erklärt in einem Inter­view, wel­che Gemein­sam­kei­ten bestehen zwi­schen indi­vi­dua­li­sier­tem Unter­richt, wie er ihn aus der Schu­le Lern­Zeit­Räu­me kennt, und der heu­ti­gen Arbeits­welt:  Video anse­hen

Herr Lai­dig sagt im Video etwas sehr wich­ti­ges, sinn­ge­mäß: „Ein freie­res Ler­nen ist nicht für alle Schul­el­tern geeig­net.” Das kann ich aus eige­ner Erfah­rung im Umgang mit Eltern bestä­ti­gen und kann hier nur drin­gend emp­feh­len, dass Eltern ihre Ent­schei­dung für oder gegen ein freie­res, indi­vi­dua­li­sier­tes Ler­nen gründ­lich überdenken.

Der Aus­schnitt stammt aus der über­aus sehens­wer­ten Sen­de­rei­he Dos­sen­heim zur Krei­de­zeit.

2 Kommentare

  1. Lie­ber Marek Breuning,

    habe gera­de einen Tipp bekom­men, Dei­ne Sei­ten zu besu­chen. Es macht Freu­de zu lesen, was Du schreibst. Du bist ja eine beson­de­re Spe­zi­es, ein Grund­schul­leh­rer. Im Lau­fe unse­rer 6jährigen Schul­ge­schich­te hat sich noch nie ein Grund­schul­leh­rer an uns gewandt, dafür aber 100te Frau­en. Aber das nur am Ran­de, weil ich gern höre, dass es doch eini­ge Män­ner für die Jüngs­ten gibt.
    Ich mag kurz aus unse­ren Erfah­run­gen bezüg­lich der Pra­xis­taug­lich­keit von Schü­lern, die in der Schu­le eigen­ver­ant­wort­lich ler­nen, berich­ten. Unse­re Ältes­ten, die immer nur in der Frei­en Schu­le Lern­Zeit­Räu­me waren und sind, muss­ten sich vom ers­ten Tag an durch­bei­ßen. Es fiel gar nicht allen Kin­dern leicht, auf die Fra­ge: „Was soll ich jetzt tun?” stets die Ant­wort zu erhal­ten: „Was hältst du für wich­tig, was möch­test du jetzt tun?”. Das war der Beginn unse­rer gemein­sa­men Zeit und die meis­ten sind bis heu­te geblie­ben und jetzt kurz vor dem Ende des 6. Schul­jah­res. Alle, die am Anfang offen­sicht­lich Lang­sa­men und die stets Eili­gen haben heu­te eines gemein­sam. Sie fra­gen nicht mehr danach, was sie tun sol­len oder müs­sen. Sie kom­men in der Regel mit einer Idee, oft sogar einem Plan für eine Arbeit zu uns und fra­gen, ob wir Opti­mie­rungs­vor­schlä­ge für die Bear­bei­tung haben. Sie alle sind Team­spie­ler gewor­den, die ande­ren gern erklä­ren, hel­fen oder Fra­gen stel­len und die­se dis­ku­tie­ren. Manch­mal sind sie uns Päd­ago­gen mit ihren Erwar­tun­gen zu einem Lern­an­ge­bot sogar vor­aus, haben schon an Alter­na­tiv­we­ge gedacht, die wir noch nicht sehen. Die Ver­läss­lich­keit, Arbei­ten die über­nom­men wor­den, auch erfüllt zu sehen, ist sehr hoch. Sel­ten sind die Kin­der rat­los und haben kei­ne eige­ne Idee.
    Das klingt idea­lis­tisch, ist aber Rea­li­tät in die­sem Jahr­gang, der unser ers­ter und somit am meis­ten expe­ri­men­tel­ler ist. Wir Päd­ago­gen, die die Kin­der seit Jah­ren beglei­ten, sind gespannt, wie lan­ge die­se Grup­pe und natür­lich die fol­gen­den, die immer bei uns waren, ihre Moti­va­ti­on und Freu­de, eigen­stän­dig zu ler­nen, auf­recht erhal­ten wer­den. Noch immer gehen sie alle gern zur Schu­le, kei­nes wür­de frei­wil­lig weg­ge­hen wol­len und Angst vor Unbe­kann­tem zei­gen sie nur sel­ten. In öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen hal­ten sie Vor­trä­ge, sind zuvor­kom­mend und dis­ku­tie­ren z.B. mit Stu­den­ten über Port­fo­li­os. Nicht alle wer­den ein­mal ein Abitur machen, aber dar­auf kommt es ihnen und uns gar nicht an. Sie wer­den ihren Weg gehen, da sind wir uns heu­te schon ziem­lich sicher.
    Wel­cher Erwach­se­ne kann von sich sagen, dass er mit 12 Jah­ren so selbst­be­wusst und plan­voll war?

    Wer­de Dei­nen Blog ab und zu besu­chen. Bleib dran!
    Herz­li­che Grüße
    Signe Brun­ner-Oraw­sky aus der Frei­en Schu­le Lern­Zeit­Räu­me in Dossenheim

  2. Hal­lo Signe,

    ich habe mich über dei­nen Kom­men­tar sehr gefreut. Vie­les von dem, das du schreibst, kommt mir doch irgend­wie bekannt vor. 😉 Als ich die Sen­dun­gen Dos­sen­heim zur Krei­de­zeit ver­folg­te, kam mir des­öf­te­ren der Gedan­ke, dass ihr und ich wohl ähn­lich „unter­rich­ten”. Auch für mich ist es in mei­ner der­zei­ti­gen 4. Klas­se „das ers­te Mal”, dass ich „so anders” arbei­te. In ein paar Tagen wird sich die Klas­se tren­nen müs­sen, was ich wirk­lich sehr bedaue­re, weil ich mit die­sen Kin­dern sehr ger­ne wei­ter­ge­ar­bei­tet hät­te. Im Lau­fe des 4. Schul­jah­res spür­te ich näm­lich, wie die Kin­der immer mehr kom­ple­xer den­ken kön­nen, ihr Wil­le immer grö­ßer wird, sich inhalt­lich noch tief­grün­di­ger zu beschäf­ti­gen, als bis­her, und sie auch von mir regel­recht Inhal­te ein­for­dern!! Das ist echt eine Freu­de! Jetzt, wo sie nicht mehr ganz die Klei­nen sind, und auch in der Lage wären, sich prak­tisch mit immer kom­ple­xe­ren Din­gen zu beschäf­ti­gen, muss ich sie lei­der ins 5. Schul­jahr abge­ben. Sehr, sehr schade!

    Bei allen Ver­än­de­run­gen, die die Kin­der, die Eltern und mich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren beglei­tet haben, habe ich mich eigent­lich immer mit dem „Wie” gestal­te ich den „Unter­richt” beschäf­tigt. So habe ich jedes Jahr neue Idden aus­pro­biert, dabei man­ches ver­wor­fen und wie­der ande­res aus­ge­baut. Im Lau­fe des 4. Schul­jah­res merk­te ich dann, dass ich bei all mei­nen Bemü­hun­gen das „War­um?” aus den Augen ver­lo­ren habe. War­um „unter­rich­te” ich so, wie ich es tue? War­um ist es mir eigent­lich so wich­tig, dass die Kin­der in einem Wech­sel­spiel von, wie es Hüt­her nennt, „Auto­no­mie und Ver­bun­den­heit” ler­nen? Erst in den letz­ten Mona­ten(!) ist es mir bewusst gewor­den. Ich habe dar­über im Arti­kel Skol­net: Wer und war­um? in Ansät­zen geschrieben. 

    Wie ich aus dei­nen Wor­ten ent­neh­me, sind wir uns auch in die­sem Punkt ähn­lich. Es geht „uns” also um Per­sön­lich­keits­bil­dung im wei­tes­ten Sin­ne. Es geht nicht dar­um, Kin­der an irgend­ein Sys­tem, zum Bei­spiel dem in der Sek I, anzu­pas­sen, indem wir sie zum Aus­wen­dig­ler­nen „hin­füh­ren”. Es geht uns viel­mehr dar­um, wenn man so will, die Kin­der per­sön­lich so „stark” zu machen, dass sie spä­ter über­all gut zurecht kom­men. Hüt­her beschreibt das ganz wun­der­bar in den ers­ten 2–3 Minu­ten in die­sem Video: https://www.skolnet.de/impulse/produziert-schule-lustlose-pflichterfuller/

    Alles Gute! Ich bin auf die nächs­te Sen­dung schon gespannt, wobei ich noch nicht weiß, ob ich dies­mal live dabei sein kann.

    Grü­ße
    Marek

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