Ein Elternbrief zum Thema Rechnen für Klasse 1. Er entspricht weitgehend dem, den ich an die Eltern vor einiger Zeit ausgeteilt habe:
Sehr geehrte Eltern,
damit Kinder sicher im Rechnen werden, sind RECHENSTRATEGIEN das A und O! Für einige wenige Kinder ist immer noch die sicherste Strategie, dass sie mit ihren Fingern zählen, also die Zählstrategie.
In der Schule sprechen wir regelmäßig darüber, WIE man Aufgaben ausrechnen könnte und WIE die Kinder sie dann im Einzelfall lösen. Dahinter steckt immer die Frage nach der Rechenstrategie bzw. Lösungsstrategie!
Es gibt mehrere Strategien, um Rechenaufgaben zu lösen. Das Wesen aller Strategien ist natürlich, dass man sich das Rechnen „vereinfacht“. Dazu muss man in einer „schwierigen“ Aufgabe eine (oder mehrere) „leichte / kleine“ Aufgaben erkennen.
Drei Beispiele:
a) 2 + 16 … Kinder, die zählen, haben an so einer Aufgabe ganz schön zu knabbern!
b) 13 – 4 … Hier klappt’s mit dem Zählen schon besser, sofern man bei der 12 anfängt!
c) 19 – 18 … Zählende Kinder scheitern an dieser Aufgabe so gut wie immer!
Kinder, die strategisch vorgehen, erkennen(!) bei a), dass sie auch 16+2 rechnen können (Vertauschen bei Plusaufgaben)! Bei b) ist eine mögliche(!) Strategie, dass man die 4 zerlegt in 3+1 (schrittweise bis zum 10er rechnen). Dann rechnet man 13–3 und zieht davon noch mal 1 ab. Einzelne Kinder haben sogar erkannt, dass man eine solche Aufgabe über negative Zahlen lösen kann. Und es gibt weitere Wege… In Aufgabe c) verstecken sich „leichte“ Aufgaben nämlich 10–10 und 9–8 (Strategie der Zahlzerlegung und Analogiebildung). Hervorragend wäre es hier sogar, wenn das Kind gar nicht erst rechnet, sondern erkennt, dass die Aufgabe viel schneller über den sog. „ordinalen Zahlaspekt“ lösbar ist. Dann sagt es nur: „Die Lösung ist 1, weil von 18 bis 19 eins weiter ist.“
Strategien können Sie Kindern nicht „beibringen“! Man kann zwar isolierte Übungen zu einzelnen Strategien machen, so wie ich sie u.a. auch bei den Hausaufgaben immer wieder einfließen lasse. Aber diese Übungen sind KEINE Garantie dafür, dass das Kind bei einer unbekannten neuen Aufgabe auch schon eine sinnvolle Strategie nutzt. Manche Kinder sagen: „Meine Mama hat mir gesagt, dass ich das immer so(!) machen soll.“ – Ich: „Ja, und warum machst du das gerade hier so?“ – Kind: „Ääääähmmm, weiß nicht!“
Was können wir aus dieser Situation ableiten? Offenbar hat das Kind noch kein Verständnis für den Kontext, in dem es eine Strategie sinnvoll anwendet. Aber: Verstehen ist und bleibt in der Arithmetik das A und O!
Was bringt das Kind nun mittel- und langfristig weiter?
1. Rechnen mit Fingern NICHT VERBIETEN, das ist – mit Verlaub – Blödsinn! Denn das Kind wird immer Auswege finden, um zu zählen. Ich kann ihnen viele Beispiele nennen, wie kreativ Kinder sein können, um Tricks zu erfinden, damit sie ihre „bewährte” Zählstrategie wieder nutzen können. Das Kind braucht aber keine Verbote, sondern Strategien (Alternativen zum für sie sicheren Zählen)! Zentrale Übungen, die den Aufbau von Grundvorstellungen und damit Strategien unterstützen, finden sich in der Förderkartei für rechenschwache Schüler.
2. Reden, reden, reden Sie mit Ihrem Kind darüber, WIE es rechnet. Qualität (= miteinander über Lösungswege reden, „Ich mach’ das so und wie du?“) geht vor Quantität (= viele Aufgaben lösen, ohne zu verstehen, was man da tut)! Es ist viel sinnvoller, wenige vielleicht nur 2 oder 3 Aufgaben wirklich zu rechnen, also über Lösungswege zu sprechen! Dazu müssen manche Kinder immer noch MATERIAL anfassen und damit handeln (z.B. Rechenrahmen / Abakus, blaue+rote Punkte). Nutzen Sie, falls nötig, das Material, wenn Sie mit Ihrem Kind üben!
Erst wenn das Kind selbst begreifen wird, dass es mit Strategien schneller rechnet, wird es aufhören zu zählen!! Aber das braucht Zeit, manchmal viel Zeit! Es macht wenig Sinn, wenn Sie mit Ihrem Kind „viel üben“ (quantitativ!) in der Hoffnung, dass irgendwann schon „der Groschen fallen wird“. Das wird er nicht. Mathematik ist eine Sprache! Üben Sie daher qualitativ: Reden Sie mit Ihrem Kind über Lösungswege und handeln Sie bei Bedarf am Material.
Wieder einmal ein dickes Dankeschön für einen weiteren Elternbrief und vor allem auch den Link zur Förderkartei, die ich noch nicht kannte. Ich werde den Brief zwar nicht genauso übernehmen, sondern Teile davon in meinen „Elternbrief zum Blitzrechnen” (wir arbeiten mit dem Zahlenbuch) inhaltlich übernehmen können, deshalb habe ich ihn mir gleich mal abgespeichert.
Deine Idee der Elternbriefe finde ich überhaupt gut – teilst du die auch wirklich an die Eltern aus oder sind sie mehr ein Blogstilmittel?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mir auf Elternabenden meinen Mund fusselig reden kann – ein Brief wirkt einfach mehr, es scheint, als wirke er verbindlicher für Eltern (gerade wieder in meiner 3. Matheklasse zum Thema „Das kleine 1x1 und seine Umkehraufgaben). Um die Wirkung noch zu verstärken, hänge ich immer einen Rückabschnitt mit Unterschrift der Kenntnisnahme an. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass man dieses Mittel auch nicht überstrapazieren darf.
So und da mich nun noch das Thema „Hausaufgaben – individuelle Hausaufgaben” interessiert, mache ich mich mal wieder auf deiner Seite auf die Suche.
Wünsche dir noch einen schönen Sonntag!
LG Gabi
Die Elternbriefe teile ich natürlich an die Eltern aus. Sie sind an der einen oder anderen Stelle etwas kürzer als hier. Die bisherigen Briefe ließ ich noch von den entsprechenden Fachleuten überprüfen. Den Brief zu den Basis- und Orthographemen habe ich erst einmal geschrieben und mich dann mit einigen Eltern getroffen, um ihn zu überarbeiten – war wirklich alles verständlich? Erst danach habe ich ihn ausgeteilt.
Entschuldige die späte Antwort, die letzten Tage waren sehr überladen!
Ohje – du musst dich nicht entschuldigen, ich kenne mich mit dem „Endzeit-Stress” nur zu gut aus ;-), aber vielen Dank für deine umfassende Antwort.
Ich wünsche dir erholsame, vielleicht lehrreiche, aber hoffentlich entspannte Sommerferien – „Wir haben sie uns verdient!”
Ganz liebe Grüße
von Gabi